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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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848, 23. Nisan 5205
    Ostermontag, 29. März 1445
    Kurz nach elf Uhr abends

    Auf dem Boden des Tabots liegt etwas Flaches, nicht größer als meine Handfläche, eingewickelt in mehrere Schichten Brokatstoff. Mit zitternden Händen schlage ich den glänzenden Stoff zur Seite und wickele es Schicht um Schicht aus.
    Zum Vorschein kommt eine Tafel aus dunklem Holz.
    Fassungslos starre ich auf die eingravierten Ornamente, das Symbol in der Mitte der Tafel und die Inschrift in Geez, die mir bekannt vorkommt.
    Mit zitternden Knien gehe ich hinüber zu einer der Ikonen an der Wand der Kapelle und vergleiche die Schriftzeichen.
    Das darf doch nicht wahr sein!
    Ich muss unbedingt mit Yared sprechen. Und mit Tayeb. Hat er die Schatzkarte der Templer in der Baruch-Apokalypse inzwischen entschlüsselt? Die Zeit zerrinnt uns zwischen den Fingern. Nur noch neun Stunden bis zum Aufbruch nach Kairo. Yared und ich müssen noch heute Nacht in das Labyrinth unter dem Tempelberg, um die Bundeslade zu suchen.
    Ohne die Tafel zu berühren, wickele ich sie wieder in ihre Hülle aus Brokatstoff, lege sie zurück in das Tabot und verschließe den Deckel. Dann schiebe ich die Lade zurück in die Altartruhe und hänge das altersschwache Schloss wieder ein. Nachdem ich das Evangeliar und das Handkreuz zurück auf den Altar gelegt habe, husche ich aus der Kapelle und eile um das Heilige Grab herum zur Treppe, die zum Dach der Grabeskirche hinaufführt.
    Ich muss zu Tayeb, um ihn …
    Zu Tode erschrocken bleibe ich stehen.
    Tristão!
    Er tritt aus dem Schatten der Säulen, die die Kuppel der Grabeskirche stützen, und zieht sein Schwert.
    Beinahe hätte ich ihn zu Tayeb geführt, der seinen Sohn im Kampf tötete! Und zur Baruch-Apokalypse! Nach dem Mord an Rabbi Eleazar kann Tristão sich denken, dass ich sie hier verborgen habe.
    Ich wirbele herum und haste zurück zur koptischen Kapelle hinter dem Heiligen Grab. Dann stürme ich durch den Kuppelraum ins Katholikon, wo ein griechisch-orthodoxer Mönch das Öl in den silbernen Ampeln nachfüllt, die von der hohen Decke hängen. Verdutzt blickt er mir nach, als ich das Sanktuarium auf der anderen Seite wieder verlasse. Tristão ist nur wenige Schritte hinter mir.
    Offenbar stellt sich der Basilianermönch dem Christusritter in den Weg, weil er orthodoxes Hoheitsgebiet betritt, aber er wird grob zur Seite gedrängt. »Verfluchter Schismatiker!«, höre ich Tristão fluchen.
    Unterdessen hetze ich das nördliche Seitenschiff entlang zurück zum Heiligen Grab, wo ich beinahe mit dem koptischen Mönch zusammenstoße, der vorhin die Liturgie vorbereitet hat. Vor Schreck lässt er einen Kerzenleuchter fallen, der auf die Steinfliesen poltert. Die Kerze zerbricht. Er stößt einen Fluch aus. Ich hetze zur Treppe und dann die Stufen hinauf zum Dach.
    Tristão fällt zurück. Seine Rüstung und seine Wunden behindern ihn. Das Atmen durch die gebrochene Nase bereitet ihm offenbar große Schwierigkeiten, denn ich höre ihn keuchen.
    Da ist die Tür! Ich stoße sie auf und erreiche das Dach. In der nächtlichen Finsternis taste ich nach dem großen Schlüssel, mit dem die Tür von innen abgeschlossen werden kann. Ich ziehe ihn aus dem Schloss und versuche, ob er auch von außen passt.
    Während Tristão mit dem Schwert in der Hand die Stufen heraufpoltert, schlage ich die Tür zu und verriegele sie. Dann ziehe ich den Schlüssel ab und lege ihn auf den Steg, der über das Dach des Franziskanerkonvents zum äthiopischen Kloster hinüberführt.
    Wenig später habe ich die Davidstraße erreicht, deren Reliquienläden längst geschlossen sind. Ein alter Bettler mit eingefallenem Gesicht und einem langen weißen Bart schlurft mir mit Stock und Almosenschale entgegen. Ich biege in den Kiesweg, der am Festungsgraben entlang zum Portal der Zitadelle hinaufführt, die von Fackeln hell erleuchtet ist.
    Ich muss unbedingt mit Yared …
    Ich gehe langsamer.
    Trotz der späten Stunde steht das Tor weit offen. Etliche schwer bewaffnete Mamelucken bewachen das Portal. Als sie mich im Schein der Fackeln erkennen, kommen sie mir entgegen. Offenbar haben sie auf mich gewartet.
    Ein Offizier tritt auf mich zu. »Contessa Alessandra?«
    Sieben Mamelucken ziehen ihre Schwerter und bedrohen mich mit den blitzenden Klingen, während zwei weitere hinter mich treten, mich grob knebeln und fesseln und mir einen schwarzen Hidjab-Schleier über den Kopf ziehen, der meinen Körper vollständig verhüllt. Den Dolch unter meinem Gewand

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