Der Gottesschrein
finden sie nicht, weil sie nicht danach suchen.
Der Offizier versetzt mir einen harten Stoß in die Seite. Ich stolpere vorwärts – ich kann ja nichts sehen, denn selbst die mit Goldborten bestickten Augenschlitze des Hidjab sind mit feinstem schwarzen Musselin verhüllt. »Wenn ich bitten darf, Contessa!«, schnarrt der Tscherkesse. »Prinz Uthman erwartet dich.«
· Yared ·
Kapitel 62
In der Moschee der Zitadelle
20. Dhu’l Hijja 848, 23. Nisan 5205
Ostermontag, 29. März 1445
Wenige Minuten vor Mitternacht
Die Flammen der Öllampen flackern, als die Tür schwungvoll aufgerissen wird. Benyamin stürmt in die Moschee, die mit Mihrab und Minbar ausgestattete Halle der ehemaligen Kreuzritterburg.
»Ich habe dich … schon überall gesucht!«, keucht er atemlos. »Um Gottes willen, Yared, was machst du denn in einer Moschee? Uthman und du – worüber habt ihr vorhin so erbittert gestritten? Ihr seid ja beinahe aufeinander losgegangen. Ich habe mir Sor…«
»Benyamin!«, unterbreche ich ihn. »Ich versuche, zur Besinnung zu kommen.«
»In einer Moschee?« Vor Zorn reißt er sich fast die Steinkugel vom Hals. Seit Uthman ihm heute Mittag mit einem herablassenden Lächeln verkündet hat, ich sei konvertiert, sprüht er Funken. »Ich kann nicht glauben, dass du …«
»¡Por Dios!« , fluche ich hitzig. »¿Qué pasó?«
Benyamin hält die Steinkugel fest umklammert, als sei dieses Symbol seines Judeseins ein fester Halt gegen den muslimischen Irrsinn, dem ich ja offenbar erlegen bin. Er holt tief Luft. »Der neue Befehlshaber deiner Mamelucken schickt mich. Timur bittet dich auf den Davidsturm. Tughan al-Uthmani bereitet einen Sturmangriff auf die Zitadelle vor.«
»Allmächtiger Gott!« Ich springe aus meiner knienden Haltung auf. »Ist Alessandra schon zurückgekehrt?«
Benyamin folgt mir zur offenen Tür. »In deinen Gemächern ist sie nicht.«
Ich habe furchtbare Angst, dass sie Tughan in die Hände fällt. Oder dass Tristão sie ermordet.
Wir verlassen die Moschee.
Die Arkadenbögen des Innenhofs sind von Fackeln hell erleuchtet. Meine Mamelucken machen sich kampfbereit und stürmen die Treppen zu den Wehrgängen und den Festungstürmen hinauf. Dort oben werden Kohlenbecken in Stellung gebracht, und Holz wird entzündet. Ich will zum Davidsturm hinüberlaufen, doch Benyamin hält mich am Arm fest. »Warte! Der Junge war auch nicht da.«
»Elija?«, frage ich erschrocken.
»Hast du noch andere verlauste Gassenjungen an Sohnes statt angenommen?«, gibt er bissig zurück. »Das Bett war zerwühlt. Die kleine Rotznase ist verschwunden.«
»Such ihn! Bring ihn zu mir!«
»Wie du befiehlst, Wesir.« Mit einer angedeuteten Verbeugung, die deutlich macht, wie verstimmt er ist, lässt er mich stehen und hastet zur Südseite der Zitadelle, wo der alte Palast der Kreuzfahrerkönige und die Ruinen der Residenz von König Herodes an einen Festungsturm grenzen.
Ausgerechnet jetzt, da ich Benyamins Freundschaft brauche wie nie zuvor, wendet er sich von mir ab! Fluchend haste ich zwischen den Mamelucken hindurch zum Davidsturm und hinauf bis zur obersten Plattform.
Als ich den Garten auf dem Davidsturm betrete, beugt sich Timur gerade zwischen den Zinnen vor, um zum Wehrgraben hinabzuspähen. Er hört meine Schritte zwischen den Myrtenbüschen, dreht sich zu mir um und nickt mir zu. »Wesir!«
»Timur.«
»Die Tore sind geschlossen. Deine Mamelucken sind bereit, die Zitadelle zu verteidigen und Tughans Angriff zurückzuschlagen. Wer hat die Befehlsgewalt?«
»Du.«
»Danke für dein Vertrauen, Wesir. Ich werde dein Leben mit meinem schützen.«
Ich lege ihm die Hand auf die Schulter und lehne mich über die Brustwehr, um zum Tempelberg zu blicken und hinunter in die Gassen des armenischen Viertels. Mir stockt der Atem. Vor dem Festungsgraben rotten sich Tughans Mamelucken zusammen und bereiten sich auf den Sturmangriff vor. Befehle werden gebrüllt. Fackeln beleuchten Armbrustschützen, die zwischen den Mandjaniks, den großen Steinschleudern, umherhuschen. Ein schwerer Rammbock wird vor das Tor der Zitadelle geschoben.
»Woher hat er die Mandjaniks?«
»Vermutlich hat er sie in Jericho bauen und zerlegt nach Al-Quds schaffen lassen.« Timur deutet mit dem ausgestreckten Arm auf einen Mamelucken in der Gasse, die zur Markuskirche führt. »Dort unten ist Tughan.«
»Ich sehe ihn.«
»Darf ich?« Timur deutet auf die Armbrust, die neben ihm an der Brüstung lehnt.
Ich nicke.
Er lädt die
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