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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Al-Aqsa befinden!
    Hoffnungsvoll biege ich um die Ecke und bleibe abrupt stehen. Beinahe hätte ich die Kerze fallen gelassen.
    Der Gang ist zugemauert!
    Fluchend wende ich mich um, haste die Treppe hinunter in die Zisterne und suche weiter nach dem Zulauf des römischen Aquädukts, der uns zum Brunnen vor der Al-Aqsa führen kann. Endlich finde ich ihn.
    Doch er ist zu schmal, um hindurchzukriechen.
    Zitternd vor Enttäuschung starre ich den Durchlass an. Dann atme ich tief durch, schütze die Flamme der Kerze mit der Hand und kämpfe mich weiter durch das eisige Wasser.
    Dort, in jener dunklen Nische – was ist das?
    Ein aus den massiven Quadern der Zisterne gemauerter Gang.
    Ich zögere. Wie lange bin ich schon in dieser Zisterne? Tayeb macht sich bestimmt große Sorgen.
    Doch dann betrete ich den Korridor und folge ihm vermutlich nach Norden, in Richtung Felsendom. Nach wenigen Schritten stoße ich auf eine Treppe. Ich haste hinauf. Dann stehe ich vor einem massiven Portal aus Zedernholz.
    Mit klammen Fingern berühre ich das alte Holz. An manchen Stellen splittert es schon. Stammen die schwarzen Brandspuren von der verheerenden Feuersbrunst, die ausbrach, als Titus den Tempelberg eroberte und den Tempel zerstörte?
    Was verbirgt sich hinter diesem Tor?
    Im Lauf der letzten zwei Jahrtausende sind etliche Gotteshäuser auf dem Berg Morija errichtet worden: Salomos Tempel für Jahwe, zerstört durch die Babylonier. Serubbabels Tempel, errichtet nach dem Babylonischen Exil. Der Tempel des Herodes, zertrümmert durch die Römer. Hadrians Kultstätte für Jupiter, von der kein Stein auf dem anderen geblieben ist. Synagogen, die dem Erdboden gleichgemacht worden sind, niedergerissene römische und byzantinische Kirchen und eine Handvoll Moscheen.
    Als ich die Kerze hebe, um das verrostete Schloss zu untersuchen, entdecke ich in der Wand neben der Tür einen in den Stein gekratzten Spruch. Mit dem Finger fahre ich den Linien nach:

N ON NOBIS, D OMINE, NON NOBIS,
SED NOMINI TUO DA GLORIAM !

    Der Wahlspruch der Tempelritter: ›Nicht uns, o Herr, nicht uns, sondern Deinem Namen gib Ehre!‹
    Sie sind hier gewesen!
    Die Euphorie der Schatzsucherin, die sich vor einer spektakulären Entdeckung wähnt, packt mich, als ich die Zedernholztür aufschiebe und in die Finsternis leuchte.
    Die Kammer, die an die Genisa einer Synagoge gemahnt, ist zwanzig Schritte lang und zehn Schritte breit. An den Wänden lehnen Hunderte Tonkrüge zur Aufbewahrung von Papyrusrollen. Sie ähneln jenen, in denen Tayeb und ich vor sechs Jahren in der versunkenen Synagoge von Alexandria das Evangelium des vergessenen Papstes gefunden haben. Einige der Krüge sind zerbrochen, die Scherben liegen über den Boden verstreut. Dazwischen Fetzen von Papyrus.
    Ist dies die verschollene Bibliothek des jüdischen Tempels?
    Mit zitternden Knien hocke ich mich vor einen der Tonkrüge. Er ist aufgebrochen. Und leer.
    Der nächste enthält nur eine Handvoll Papyrusfasern.
    Dort drüben ist eine versiegelte Amphore!
    Mit gekreuzten Beinen setze ich mich vor den zwei Ellen hohen Tonkrug. Er ist noch unversehrt. Haben die Templer ihn übersehen?
    Mein Herz rast, als ich mit meinem Dolch das Siegel breche und das Gefäß schräg ins Licht der Kerze halte, um die Schriftrolle herauszuziehen. Behutsam entrolle ich den brüchigen Papyrus und lese die antiken Schriftzeichen. Obwohl ich das Hebräische nicht so vollendet spreche wie Niketas, fällt es mir nicht schwer, hebräische Texte zu verstehen. Doch dieser Text ist in Aramäisch niedergeschrieben worden, der Sprache Jesu. Wenngleich das Hebräische und das Aramäische eng verwandt sind, kann ich die Wörter nicht lesen.
    Ein aramäischer Papyrus … ähnlich jener Handschrift, die Leonardos Mörder aus dem vatikanischen Geheimarchiv mitgenommen hat. Haben die Templer jenen aramäischen Papyrus in dieser Kammer gefunden? Was enthielten die Tonkrüge einst – die legendäre Weisheit Salomos? Unbekannte Apokryphen, die bei der Entstehung des Alten Testaments verworfen wurden? Das Geheimwissen der Templer, das den Orden bei der Inquisition in den Verdacht der Häresie brachte?
    Und was ist mit den Schriftrollen geschehen? Wurden sie vor der Eroberung Jerusalems durch Salah ad-Din nach Akko gebracht und von dort in den Pariser Tempel? Bei der Erstürmung durch die Schergen der Inquisition wurde nur ein Papyrus gefunden. Waren die anderen an Bord eines der achtzehn Templerschiffe, die in der Nacht zuvor den Hafen von

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