Der Gottesschrein
Juden … wie nennt es Benyamin in seiner biblischen Sprache? … ›der die Juden knechtet wie einst der Pharao‹. Und der in Ägypten einen muslimischen Gottesstaat errichten will. Yared, du weißt doch, was unser Vater mit Christen und Juden vorhat!«
Ich nickte stumm.
Sultan Jaqmaq will die herabwürdigenden Gesetze für Dhimmis weiter verschärfen. Jeder, der über seine Stellung als Wasserträger, als Latrinenreiniger oder als verachteter Handwerker hinaus aufsteigen will, muss ein Muslim sein. Christen werden gezwungen, ein Holzkreuz zu tragen, Juden müssen sich eine Steinkugel umhängen. Es ist ihnen verboten, Pferde oder Kamele zu reiten – sie müssen auf dem Packsattel eines Esels hocken und innerhalb von großen Städten wie Al-Kahira und Al-Iskanderiya zu Fuß gehen. Das Tragen von Waffen steht unter Strafe. In den letzten Monaten sind viele Juden aus ihren hohen Stellungen in der Verwaltung des Reiches entlassen worden. Jüdischen Ärzten wie mir ist es mittlerweile bei Strafe untersagt, kranke Muslime zu behandeln.
Benyamin hat recht mit seinen Befürchtungen: Es wird noch schlimmer kommen, auch für mich. Die Glaubensfreiheit der Juden ist in Gefahr – wie die der koptischen Christen, deren Papst Yoannis gefoltert wurde und mit dem Tode bedroht wird. Eines Tages wird sich der Zorn über die Demütigungen in einem Feuersturm aus Hass und Gewalt entzünden. Dann werden die Muslime die ersten Synagogen niederreißen.
Und dann? Ein neuer Exodus?
Und wohin dieses Mal?
Benyamins Worte vom Sederabend dröhnten in meinen Ohren: »Führe uns in die Freiheit, Yared. Das Reich Davids und Salomos, den Staat Israel, kannst du neu erschaffen! Sei der Messias, auf den wir Juden schon so lange warten!«
Ich atmete tief ein und sah Uthman in die Augen. »Wer ich bin, willst du wissen?«
Mein Freund nickte kaum wahrnehmbar.
»Ein Mensch, dessen Herz und Verstand miteinander ringen und der sich entscheiden muss, was ihm wichtiger ist: sein Ansehen als Vertrauter des Sultans, seine Macht als Dawadar, sein Liebesglück mit Jadiya, seine Hoffnung auf ein Kind, seine Freiheit … oder sein Judesein.«
»Bist du überhaupt noch ein Jude? Vor einigen Wochen hast du dem Drängen unseres Vaters nachgegeben und eine Hadj nach Mekka gemacht, um dich zu besinnen. Du missachtest die Gebote der Thora. Du betest nicht mit Tallit und Tefillin. Du lebst nicht koscher. Du ehrst den Sabbat nicht. Du hast nach Rebekkas Tod nicht wieder geheiratet. Du schlägst das Gebot des Propheten Ezra in den Wind, indem du mit Jadiya schläfst.«
Ich nickte stumm.
»Und du hast keine Kinder, an die du das kostbare bisschen Judentum, das du dir nach den Jahren des Leidens noch bewahrt hast, weitergeben könntest.«
Ich schluckte trocken und senkte den Blick. »Nein.«
Uthman strich mir tröstend über den Arm. »Ich weiß, wie traurig und wie hoffnungslos du deshalb bist. Ich bete darum, dass Jadiya dir den Sohn schenkt, nach dem du dich so sehnst.« Er wies auf meine Ernennung zum Dawadar, die auf meinem Schreibtisch lag. »Und dass du endlich deinen Frieden mit Gott machst, Yared, Prinz von Ägypten.«
Arslan und ich folgen der Davidstraße, die im Licht der flackernden Blitze still und verlassen vor uns liegt. Der Gewittersturm, der nun den Ölberg erreicht hat, wirbelt uns den Staub entgegen.
Tagsüber ist die Davidstraße ein farbenprächtiger orientalischer Souk. Im Gewühl der spanischen, italienischen und byzantinischen Pilger und der Jungen, die mit Messingtabletts voller Teegläser durch die Gassen flitzen, wird man beinahe mitgerissen, wenn man an einem der Läden stehen bleibt.
In den Auslagen findet sich alles, was das Herz eines Christen höher schlagen lässt: lateinische Gebetbücher und Pilgerführer, Rosenkränze, byzantinische Ikonen, geschnitzte Gekreuzigte, die sich unter Qualen am Kreuz winden, und Grabtücher aus weißem Leinen, die sehr aufwendig mit dem Abbild des Leichnams Jesu bestickt sind – trotz der Kirchenunion von Florenz alles streng getrennt nach katholischem und orthodoxem Glauben.
Wir verlassen die Davidstraße und biegen nach rechts ab ins verwinkelte Gassengewirr des jüdischen Viertels.
Arslan folgt mir durch enge, uneben gepflasterte und in Stufen angelegte Gässchen. Die verwitterten Hauswände zu beiden Seiten ragen nur zwei oder drei Armlängen voneinander entfernt in die Höhe. Nicht selten wölben sich Stützbögen über die Gasse hinweg. Granatapfel- und Feigenbäume ragen über
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