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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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neue Israel regiert. Diese Dynastie sei von einem Sohn König Salomos und der Königin von Saba gegründet worden, dem Sohn eines weißen Königs und einer schwarzen Königin. Das erinnerte mich an Feirefiz in Wolfram von Eschenbachs Parzival – den Sohn eines weißen Gralsritters und einer schwarzen Königin. Das kann kein Zufall sein!«
    Der Papst umklammerte sein Brustkreuz. »Die Delegation des äthiopischen Kaisers, die vor vier Jahren zum Konzil in Florenz erschien, um mit mir über die Kirchenunion zu verhandeln …« Er verstummte, als ich bedächtig nickte.
    Wie gern hätte ich Gebre Christos, der so oft in meinem Palazzo und meiner Bibliothek in Florenz zu Gast gewesen ist, zum Priesterkönig befragt, zum König der Könige, zum Gesalbten des Herrn! Doch vor zwei Jahren kehrte der Abt der Grabeskirche, der die äthiopischen Mönche zum Unionskonzil nach Florenz geführt hatte, nach vierjährigem Aufenthalt in Italien nach Jerusalem zurück.
    »Der Santo Cáliz, der Gral in der Kathedrale von Valencia«, entsann ich mich, »ist ein Kelch aus Achat und Gold. Das hat mir Kardinal Alonso Borgia, der Bischof von Valencia, erzählt. Er erachtet ihn für den echten Kelch des letzten Abendmahls. Die Schale besteht aus orientalischem Achat, der golden schimmert. Sie ruht auf einem Sockel in Form einer umgedrehten Schale, die mit Goldbändern, Perlen, Rubinen und Smaragden geschmückt ist. Zwei geschwungene Henkel aus Gold halten den Kelch auf seinem Sockel.
    Kardinal Borgia hält das Bergkloster San Juan de la Peña in den Pyrenäen für die Gralsburg Munsalvaesche in Wolfram von Eschenbachs Parzival. San Juan de la Peña liegt unterhalb des Mons Salvatoris, der in Aragón Mont Salvatge genannt wird.
    Wolframs Darstellung der verborgenen Gralsburg ist so detailliert, dass man annehmen könnte, er wäre wirklich in San Juan de la Peña gewesen. Der Weg dorthin ist ebenso beschrieben wie die Gemächer der Klosterburg.
    Nur den Gral, den die Tempelritter schützen, beschreibt er nicht sehr genau. Und ich frage mich: Ist Wolframs Gral der Santo Cáliz in Valencia, der Kelch aus Achat und Gold? Obwohl Wolfram mit keinem Wort das letzte Abendmahl oder das Blut des Erlösers am Kreuz erwähnt – eben jene heilsgeschichtlichen Ereignisse, die aus einem Kelch das Mysterium des Heiligen Grals gemacht haben?
    Oder meint Wolfram einen nichtchristlichen Kultgegenstand – einen ›Lapis ex coelis‹, so nennt er den Gral, einen ›Stein aus dem Himmel‹, der göttliche Macht besitzt und eine wunderbar erscheinende Inschrift trägt?
    Wie auch immer. Wolframs Gralskönig Anfortas ist König Alfonso von Aragóns illustrer Amtsvorgänger Alfonso I. el Batallador, der 1134 in seiner Gralsburg, dem Kloster San Juan de la Peña, starb und sein Reich den Templern hinterlassen wollte.«
    »Den Templern?« , ächzte der Papst.
    »So ist es! Sie sind der rote Faden in diesem unentwirrbaren Gespinst aus faszinierenden Mysterien: die Tempelritter und ihr verschollener Schatz, die Erben der Templer, der sagenhafte Priesterkönig und Parzivals geheimnisvoller Gral ›Lapis ex coelis‹.«

    Der ›Lapis ex coelis‹!, schießt es mir nun durch den Kopf. Wolfram von Eschenbachs ›Stein aus dem Himmel‹! Habe ich mich geirrt, als ich Papst Eugenius sagte, dass San Juan de la Peña die Gralsburg ist?
    »Verbergen sich hinter dem geheimnisvollen steinernen Gral, den die Tempelritter in Wolframs Parzival bewachen, in Wirklichkeit die Steintafeln der Bundeslade?«, überlege ich laut. »Und ist der Mons Salvatoris oberhalb der verborgenen Gralsburg womöglich … der Tempelberg?«
    »Ein faszinierender Gedanke, nicht wahr? Daran habe ich auch gedacht, als ich den Parzival gelesen habe«, ertönt plötzlich eine Stimme mit portugiesischem Akzent.
    Erschrocken wenden Tayeb und ich uns um.
    Auf den Stufen, die in die Basilika hinabführen, erkenne ich im Licht der Fackeln einen hochgewachsenen Mann mit einer furchtbaren Narbe, die sein Gesicht zerrissen hat. Er trägt den weißen Habit der Christusritter mit dem roten Kreuz der Unschuld, das Leonardo mit seinem Blut gemalt hat.
    Mit zum Kampf erhobenem Schwert watet der Gotteskrieger durch das knietiefe Wasser und kommt bedrohlich näher.
    »Werft die Waffen weg!«

· Yared ·
Kapitel 10
    Im Felsendom
    16. Dhu’l Hijja 848, 19. Nisan 5205
    Karfreitag, 26. März 1445
    Drei Uhr dreißig morgens

    Staunend blicke ich zur goldfunkelnden Kuppel empor, die sich auf zwölf schlanke Säulen und vier

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