Der Gottesschrein
Muhammads Bitte, ich solle nach Gharnata zurückkehren, und nach meiner Antwort? Und wie denkt er jetzt, da Uthman mich in einer Stunde zum Freitagsgebet in die Al-Aqsa begleiten will, damit ich endlich die Schahada spreche und Muslim werde?
Er ist verzweifelt. Niedergeschmettert und unfähig, sich aus dem lähmenden Sumpf der Hoffnungslosigkeit zu befreien.
Ich weiß, dass er sich von mir verraten fühlt, und es schmerzt mich, ihn so zu sehen.
Ich lege ihm eine Hand auf die verkrampfte Schulter. Als ich ihn umarmen will, stößt er mich zurück. Er senkt den Blick und weicht mit einer angedeuteten Verbeugung einen Schritt zur Seite, um mich vorbeizulassen.
An der Tür wende ich mich zu ihm um. »Benyamin?«
Er blickt auf. »Ja?«
»Such das zerbrochene Templerschwert, das Alessandra gestern gefunden hat, und bring es in meine Gemächer. Wenn Uthman herausfindet, dass sie im Labyrinth war, lässt er sie und Tayeb hinrichten. Das Schwert muss verschwinden.«
· Alessandra ·
Kapitel 23
Im äthiopischen Kloster hinter der Grabeskirche
16. Dhu’l Hijja 848, 19. Nisan 5205
Karfreitag, 26. März 1445
Kurz vor elf Uhr morgens
>»Die Templer in Äthiopien? Die Legende berichtet nichts davon. Gewiss, es gibt Abbildungen von Templerkreuzen, die …«
»Wo?«, unterbreche ich Gebre Christos.
»In den Felsenkirchen von Lalibela. Im Grab des Königs Kaleb in Aksum, von dem berichtet wird, dass es die steinernen Schatztruhen der Königin von Saba birgt. Und in der Kathedrale Maryam Tseyon in Aksum. Aber das bedeutet nicht, dass die Templer in Lalibela oder Aksum waren. Die Kathedrale von Aksum stammt aus dem vierten Jahrhundert. Der Templerorden ist aber erst … wann gegründet worden?«
»Um das Jahr 1119. Das rote Kreuz tragen die Templer erst seit 1128, seit dem Konzil von Troyes, auf ihrem Habit.«
Gebre Christos hebt beide Hände. »Was nun?«
»Keine Ahnung.«
»Du bist enttäuscht.«
»Und wie!«, gebe ich zu und atme tief durch. »Ich hatte gehofft, dieses Gespinst aus Mysterien enträtseln zu können. Die Tempelritter und ihr legendärer Schatz, der Priesterkönig und der steinerne Gral aus Wolfram von Eschenbachs Parzival. Ich hatte gehofft, eine Spur zu finden, die in Jerusalem beginnt und über Portugal nach Äthiopien führt. Aber da ist nichts, gar nichts.«
»Scheint so.«
Ich atme tief durch. »Es gibt noch einen anderen Weg. Ich muss Dom Tristão finden, um mir die Schriftrolle zurückzuholen, die er gestohlen hat.«
Gestern Nacht ließ er durchblicken, der Papyrus sei eine Schatzkarte, die zur Bundeslade führt …
»Abuna, weißt du, wo …?«
Tesfa Iyasus, der vorhin die Kaffeezeremonie durchgeführt hat, betritt den Raum. »Ehrwürdiger Abuna, der Abetahun Solomon wird in wenigen Minuten mit seinem Gefolge das Portal der Grabeskirche erreichen«, meldet er auf Arabisch, damit auch ich ihn verstehen kann. »Ein Bote brachte gerade die Nachricht, dass der neue Emir, Yared al-Gharnati, sich freue, Prinz Solomon in einer halben Stunde in der Zitadelle mit allen Ehren zu begrüßen. Übermorgen will er ihn dann zum Abendessen in seinen Gemächern empfangen. Am Ostersonntag, nach den Feierlichkeiten zu Fasika.«
»Yared achtet also das äthiopische Osterfest«, murmelt Gebre Christos zufrieden. »Und er lädt ihn zum Abendmahl ein – das hätte ich nun wirklich nicht erwartet. Das ist eine sehr gute Nachricht. Yared al-Gharnati wird seinem Ruf gerecht.«
»Du kennst ihn?«, frage ich.
»Ich bin ihm nie begegnet. Doch als ich vor wenigen Monaten Papst Yoannis, das Oberhaupt der äthiopischen Kirche, in seinem Kerker in Kairo besuchte, hat er mir erzählt, wie Yared sich für die verfolgten Christen einsetzt. Als Sultan Jaqmaq vor einigen Jahren die Franziskaner nach Kairo verschleppte, hat er einen Mönch ans Kreuz nageln lassen, weil der sich weigerte, sich Allah zu unterwerfen. Yared hat seinen Einfluss geltend gemacht und den Sultan gebeten, ihn vom Kreuz zu nehmen.«
»Ich habe Fra Girolamo da Salerno vorhin kennengelernt.«
»Sein Kreuz stand unter dem Fenster von Yareds Arbeitszimmer in der Zitadelle von Al-Kahira. Die ganze Inszenierung von Fra Girolamos Kreuzigung diente letztlich nur dazu, Yared durch Androhung von Gewalt zum Übertritt zu zwingen. Doch bis heute hat er sich standhaft geweigert, sich Allah und seinem Propheten zu unterwerfen. Fra Girolamo verdankt ihm sein Leben.« Gebre Christos mustert mich genau. »Die ägyptischen Kopten nennen ihn Yared al-Adil, den
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