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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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über ihnen wuchert trockenes Gestrüpp in den Mauerritzen. Schwalben, die in winzigen Nischen ihre Nester gebaut haben, stürzen sich zwitschernd in die Tiefe und flitzen über uns hinweg.
    Schweigend starren die Gläubigen mich an. Sie wissen, wer ich bin. Sie wissen, was ich bin – zumindest noch so lange, bis ich die Al-Aqsa betreten und die Schahada gesprochen habe.
    Arslan hilft mir vom Pferd, und Uthman, der aus dem Sattel gesprungen ist, tritt neben mich und bietet mir seinen Arm, damit ich mich auf ihn stützen kann – mir zittern die Knie.
    »Mein Gott, Yared, du bist bleich wie der Tod«, sorgt er sich. »Nach der Khutba-Predigt und dem Freitagsgebet begleite ich dich zurück in die Zitadelle. Du musst dich hinlegen und einige Stunden schlafen. Seit dem Attentat auf dich letzte Nacht hast du kein Auge zugetan. Und dann das Gespräch mit dem Gesandten aus Gharnata, das dich so aufgewühlt hat. Und dein Streit mit Benyamin.« Uthman deutet auf Benyamin, der mich nicht begleiten, sondern an der Klagemauer warten wird. »Du bist erschöpft. Komm, Yared, stütz dich auf mich. Ich werde dir die Treppe hinaufhelfen.« Er deutet zum Tor des Propheten, wo uns der Imam Yusuf Abu Talib mit den höchsten Würdenträgern von Al-Quds erwartet.
    Während wir Seite an Seite die Stufen zur Al-Aqsa hinaufsteigen und Arslan uns mit seinen Mamelucken folgt, sehe ich hinunter zu den Juden an der Klagemauer, die beklommen zu mir emporsehen. In ihren Blicken lese ich Enttäuschung, Hoffnungslosigkeit und Bestürzung. Einer von ihnen ringt ohnmächtig die Hände, zieht sich den Tallit über den Kopf und wendet sich ab – Benyamin.
    Er steckt einen gefalteten Zettel zwischen die Steinquader, bedeckt seine Augen mit den Händen und lehnt sich mit der Stirn gegen die Steine der Klagemauer. Er hadert mit Gott.
    Seine Verzweiflung trifft mich ins Herz.
    Ich bleibe stehen.
    »Yared?«, fragt Uthman besorgt. »Was ist denn?«
    Ich schlucke. »Ich kann nicht.«
    »Hast du die Schahada vergessen?«, scherzt er mit mattem Grinsen. Er spürt meine Anspannung.
    »Nein, Uthman. Sie ist hier …«, ich deute auf meine Stirn, »… aber nicht hier.« Meine Hand legt sich auf mein Herz. »Ich kann die Schahada nicht sprechen. Ich kann kein Muslim werden.«
    »Mein Gott, Yared …«, flüstert er bestürzt.
    »Vergib mir, Uthman«, sage ich voller Verzweiflung. »Ich weiß, wie enttäuscht du nun von mir bist. Seit wir in Medinat an-Nabi Seite an Seite am Grab des Propheten standen, hast du gehofft, ich könnte mich doch noch besinnen und zum Islam konvertieren. Aber ich kann es nicht, Uthman. Ich kann es nicht.«
    Tränen funkeln in Uthmans Augen. »Yared, ich bitte dich …«
    Ich schüttele den Kopf. »Verzeih mir.«
    Dann wende ich mich um und gehe vorbei an Arslan und seinen Mamelucken, die verwirrt vor mir zurückweichen, die Treppe hinunter zum Platz vor der Klagemauer.
    Ich ziehe den Tallit über meinen Kopf und gehe durch die Reihen der aufgeregt tuschelnden Juden und an meinem Pferd vorbei auf die Gasse zu, die zurück zur Zitadelle führt. Ich sehe noch, wie Benyamin mich von der Klagemauer aus verstört beobachtet, dann wende ich meinen Blick ab.
    In der schmalen Gasse kann ich Schritte hinter mir hören. Bestimmt läuft er mir nach.
    Bis zur Synagoge hat Benyamin mich eingeholt.
    Tief bewegt ergreift er meine Hand und drückt sie.

· Alessandra ·
Kapitel 27
    Auf der Via Dolorosa
    16. Dhu’l Hijja 848, 19. Nisan 5205
    Karfreitag, 26. März 1445
    Zwölf Uhr dreißig mittags

    »Adoramus te, Christe, et benedicimus tibi. Quia per tuam sanctam crucem redemisti mundum. Domine, miserere nobis. Amen«, singen die italienischen Pilger hinter uns in der Prozession, aber ich bin so in meine Gedanken versunken, dass ich sie kaum beachte.
    »Das ist das Tabot«, hat Solomon gesagt. »Die heilige Lade.« Wie gern hätte ich ihn danach gefragt, doch bis zu seiner Audienz beim Emir hatte ich keine Gelegenheit mehr.
    Und worüber wollte Yared vorhin mit mir sprechen, als Uthman ihn zum Freitagsgebet abholte? Das Wandbild der goldenen Cherubim, die ihre Flügel über die Bundeslade breiten, hat ihn letzte Nacht fasziniert. Und seine Fantasie beflügelt und seine Abenteuerlust entfacht, das habe ich ihm angesehen – die Symptome des Schatzsucherfiebers kenne ich genau. Hat Solomon ihm während des Empfangs von seinem heiligen Tabot erzählt? Wollte Yared darüber mit mir …?
    Elija schiebt seine Hand in meine, guckt mit einem verschmitzten

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