Der Gottesschrein
aufgeregt. »Der Tempelritter! Er hat ein Schwert!«
Erschrocken wirbele ich herum und ziehe meinen Dolch.
Mit ausgestrecktem Arm deutet Karim zur Grabeskirche.
Keine zwanzig Schritte entfernt verschwindet Dom Tristão mit fliegendem Habit in einer schmalen Gasse, die zum Damaskustor und zur Grotte des Propheten Jeremia führt.
Er ist mir gefolgt!
Mir stockt der Atem.
Hat er gesehen, dass Elija meine Hand gehalten hat? Hat er gehört, dass Karim mich gerufen hat?
Großer Gott, weiß er, dass die Kinder zu mir gehören?
»Patriarch Joachim erwartet Euch, Kyria Alessandra«, teilt mir sein Sekretär Athenagoras eine Viertelstunde später mit. »Seine Seligkeit wünscht unter vier Augen mit Euch zu sprechen.«
Er geleitet mich durch einen schattigen Kreuzgang mit Orangen- und Zitronenbäumen und eine Treppe empor ins obere Geschoss, wo sich das Arbeitszimmer des Patriarchen von Jerusalem befindet.
Dann öffnet er mir die Tür und lässt mich eintreten. »Kyria Alessandra, Euer Seligkeit«, meldet er mich auf Griechisch an. Dann schließt er leise die Tür.
Joachim, der an seinem Schreibtisch sitzt und offenbar den Brief des Papstes liest, erhebt sich, als ich eintrete, kommt mir aber keinen einzigen Schritt entgegen. Er trägt die schlichten schwarzen Gewänder der Karfreitagsliturgie und eine hohe Schleierhaube, wie Niketas sie als Metropolit von Athen getragen hat. Sein grauer Bart ist sorgfältig gestutzt und reicht bis zu den drei goldenen Medaillons auf seiner Brust: einem schön gearbeiteten Kreuz mit Rubinen, dem Adler der byzantinischen Dynastie der Palaiologoi, der auch Niketas angehört hat, und dem Panagia-Medaillon mit der Ikone der Theotokos Maria.
»Kali mera«, begrüße ich den orthodoxen Patriarchen der Heiligen Stadt Jerusalem und von ganz Palästina, Syrien, Arabien, Jordanien und des Heiligen Zion – so lautet sein vollständiger Titel – und beuge mich über die dargebotene Hand. »Ich danke Euer Seligkeit, dass Ihr mich am Karfreitag empfangt.«
Er nickt kühl. »Kyria Alessandra. Bitte setzt Euch.«
»Evcharistó«, bedanke ich mich und lasse mich, nachdem er wieder Platz genommen hat, in einem der Sessel vor seinem Schreibtisch nieder. Auf dem Tisch stapeln sich die Werke der großen Kirchenlehrer der Orthodoxie – Basilios von Caesarea, Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz.
»Mein Sekretär ließ mich wissen, dass Ihr mich in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen wünscht. Er gab mir dieses Schreiben Seiner Heiligkeit des Papstes, worin Eugenius mich bittet, Euer Leben zu schützen und alles in meiner Macht Stehende zu tun, Euch bei der Erfüllung Eurer Aufgabe zu unterstützen.« Sein Tonfall verrät mir, wie widerwillig er mir diese Audienz gewährt. Wie sehr er mich hasst. Und wie sehr er mich fürchtet. Ich kann es ihm nicht einmal verdenken. Kaiser Ioannis, mein ›geliebter Schwager‹, hat ihn zur Mäßigung mir gegenüber aufgerufen. Und nun bittet Papst Eugenius ihn um eine Gefälligkeit …
»Ihr seid also in geheimer Mission für den Papst nach Jerusalem gekommen?«, knirscht er.
»Ja, Euer Seligkeit.«
»Und er erteilt Euch umfassende Handlungsvollmacht.« Unwillig wirft er das päpstliche Breve auf seinen Schreibtisch. »Kyria Alessandra, was bedeutet das angesichts der Tatsache, dass ich als griechischer Patriarch von Jerusalem die Gerichtsbarkeit im Heiligen Land ausübe, solange Seine Eminenz, der lateinische Patriarch Lancelot de Lusignan, exkommuniziert und seines Amtes enthoben ist?«
»Das bedeutet, dass ich mich für mein Handeln vor dem Papst in Rom zu verantworten habe.«
»So.«
Dieses eine Wort drückt sein ganzes Missfallen aus.
Ich unterlasse es, ihn an das Unionsdekret zu erinnern, das nicht der erhoffte Sieg der Vernunft, sondern eine tiefe Demütigung für die orthodoxen Hierarchen gewesen ist. Und die triumphalste Niederlage, die Byzanz je erlitten hat – da stimme ich Kaiser Ioannis uneingeschränkt zu. Denn er, der Stellvertreter Iesou Christou, der Nachfolger Konstantins des Großen als römischer Kaiser, kniete vor dem Papst, der damit zum Oberhaupt der vereinigten christlichen Kirche wurde.
Joachim hat vor zwei Jahren auf einer Synode hier in Jerusalem gemeinsam mit den Patriarchen von Alexandria und Antiochia die Union verdammt und den Kaiser gezwungen, zur Orthodoxie zurückzukehren. Mit anderen Worten: Die Kirche ist vereinigt, das Schisma bleibt dennoch bestehen. Und das Verhältnis zwischen dem Patriarchen von Rom, der
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