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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Buch als unfehlbare Quelle für Ethik und Lebensregeln unter die Nase. Wer seine Moral wirklich auf den Wortlaut der Bibel gründen will, hat sie entweder nicht gelesen oder nicht verstanden, wie Bischof John Shelby Spong in The Sins of Scripture (Die Sünden der Heiligen Schrift: Wie die Bibel zu lesen ist) sehr richtig feststellt. Spong ist übrigens ein gutes Beispiel für einen liberalen Bischof, dessen Glaube so hoch entwickelt ist, dass die Mehrzahl derer, die sich als Christen bezeichnen, ihn überhaupt nicht mehr als solchen erkennen würde. Eine ähnliche Persönlichkeit in Großbritannien ist Richard Holloway, der kürzlich als Bischof von Edinburgh in den Ruhestand ging. Holloway bezeichnete sich sogar als »genesenden Christen«. Eine Podiumsdiskussion, die ich in Edinburgh mit ihm führte, war eine der anregendsten und interessantesten Begegnungen meines Lebens. 101

Das Alte Testament

    Beginnen wir im Ersten Buch Mose, Genesis , und mit der allseits beliebten Geschichte von Noah, die auf den babylonischen Utnapischtim-Mythos zurückgeht und auch aus älteren Mythen anderer Kulturkreise bekannt ist. Die Legende von den Tieren, die paarweise in die Arche steigen, ist zwar liebenswürdig, doch die Moral, welche die Noah-Geschichte vermittelt, ist abscheulich. Weil Gott von den Menschen nichts mehr wissen wollte, ließ er sie (mit Ausnahme einer Familie) einfach alle ertrinken, einschließlich der Kinder und obendrein auch noch aller anderen (vermutlich ebenfalls unschuldigen) Tiere.
    Natürlich werden irritierte Theologen nun einwenden, dass wir das Erste Buch Mose heute nicht mehr wörtlich nehmen. Aber genau darum geht es mir! Wir suchen uns aus, welche Stückchen aus der Bibel wir wörtlich glauben und welche wir als Symbole oder Allegorien abschreiben. Dieses Herauspicken und Auswählen ist ebenso eine Frage persönlicher Entscheidungen wie der Entschluss eines Atheisten, diese oder jene ethische Regel zu befolgen, doch andere nicht; in beiden Fällen gibt es dafür keine absolute Grundlage. Wenn das eine ein »moralischer Blindflug« ist, dann ist es das andere auch.
    Ohnehin nehmen erschreckend viele Menschen ihre Bibel einschließlich der Noah-Geschichte allen guten Absichten der gebildeten Theologen zum Trotz nach wie vor wörtlich. Nach einer Gallup-Umfrage machen solche Gläubige etwa 50 Prozent der US-amerikanischen Wählerschaft aus. Ebenso gehörten dazu zweifellos viele jener heiligen Männer in Asien, die den Tsunami von 2004 nicht auf eine tektonische Plattenverschiebung zurückführten, sondern auf die Sünden der Menschen, vom Trinken und Tanzen in Bars bis zur Übertretung irgendeiner albernen Sabbatvorschrift. 102 Sie sind von der Noah-
Geschichte durchdrungen und bar jeder Gelehrsamkeit mit Ausnahme der biblischen – wer will es ihnen also zum Vorwurf machen? Ihre ganze Erziehung hat sie zu der Ansicht geführt, Naturkatastrophen hätten etwas mit den Angelegenheiten der Menschen zu tun und seien nicht Folge unpersönlicher Vorgänge wie der Plattentektonik, sondern Lohn für persönliches Fehlverhalten. Nebenbei bemerkt: Welche anmaßende Egozentrik steckt hinter dem Gedanken, welterschütternde Ereignisse in einem Ausmaß, wie nur Gott (oder eine tektonische Platte) sie bewerkstelligen kann, müssten immer in einem Zusammenhang mit den Menschen stehen? Warum sollte ein göttliches Wesen, in dessen Geist es um Schöpfung und Ewigkeit geht, sich auch nur einen Pfifferling um die kleinlichen Fehltritte der Menschen kümmern? Wir Menschen tragen die Nase zu hoch und blasen sogar unsere langweiligen kleinen »Sünden« noch auf ein Ausmaß von kosmischer Bedeutung auf!
    In einem Fernsehinterview fragte ich den Reverend Michael Bray, einen prominenten amerikanischen Aktivisten und Abtreibungsgegner, warum die evangelikalen Christen sich so versessen mit privaten sexuellen Neigungen wie der Homosexualität beschäftigten, die keinen anderen Menschen in seinem Leben beeinträchtigten. Seine Antwort klang ein wenig nach Selbstverteidigung. Es bestehe die Gefahr, dass unschuldige Christen zum »Kollateralschaden« würden, wenn Gott eine Stadt mit einer Naturkatastrophe bestrafe, weil sie Sünder beherberge.
    Die schöne Stadt New Orleans erlebte 2005 durch den Hurrikan »Katrina« eine schreckliche Überschwemmung. Und worauf führte der Reverend Pat Robertson, einer der bekanntesten amerikanischen Fernsehevangelisten und früherer Präsidentschaftskandidat, den Hurrikan Berichten zufolge

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