Der Gotteswahn
der Pharao. Mit beiden Herrschern muss man ein gewisses Mitgefühl empfinden. Ist auch diese Ähnlichkeit ein Anzeichen für die Unzuverlässigkeit der Texte?
Aber solche unangenehmen Episoden in der Geschichte über Abraham sind noch Petitessen im Vergleich zu dem berüchtigten Bericht über die Opferung seines Sohnes Isaak. (Muslimische Schriften erzählen die gleiche Geschichte über Ismael, Abrahams zweiten Sohn.) Abraham erhält von Gott den Befehl, seinen geliebten Sohn als Brandopfer darzubringen. Daraufhin baut er einen Altar, schichtet das Brennholz auf und bindet Isaak darauf fest. Er hat das tödliche Messer bereits in der Hand, da greift ein Engel auf dramatische Weise ein und verkündet, der Plan habe sich in letzter Minute geändert: Gott habe nur Spaß gemacht, habe Abraham »auf die Probe stellen« wollen, um seinen Glauben zu prüfen. Ein heutiger Ethiker muss sich einfach fragen, ob ein Kind sich von einem solchen seelischen Trauma jemals wieder erholen würde. Nach modernen ethischen Maßstäben ist diese widerwärtige Geschichte ein Beispiel für Kindesmisshandlung, eine Schikane in zwei ungleichen Machtverhältnissen und die erste belegte Verteidigung nach dem Muster der Nürnberger Prozesse: »Ich habe nur Befehle ausgeführt.« Dennoch ist diese Legende einer der großen Gründungsmythen aller drei monotheistischen Religionen.
Auch hier werden moderne Theologen einwenden, man könne die Geschichte von Abraham, der Isaak opfert, nicht wortwörtlich als Tatsache auffassen. Und wieder einmal ist die angemessene Antwort zweifacher Natur. Erstens nehmen ungeheuer viele Menschen noch heute ihre gesamte Heilige Schrift als Tatsachenbericht, und diese Menschen haben, insbesondere in den Vereinigten Staaten und in der islamischen Welt, große politische Macht über uns andere. Und zweitens: Wenn die Geschichte kein Tatsachenbericht ist, wie sollen wir sie dann auffassen? Als Allegorie? Als Allegorie wofür? Sicher nicht für etwas Lobenswertes. Als moralische Lehre? Aber was für eine Moral könnte man aus dieser widerwärtigen Geschichte ableiten? Wie gesagt: Ich will nachweisen, dass wir unsere Moral in Wirklichkeit nicht aus der Heiligen Schrift beziehen. Oder wenn wir es tun, suchen wir uns aus der Bibel die angenehmen Brocken heraus und lassen die hässlichen beiseite. Doch dann müssen wir nach einem unabhängigen Kriterium entscheiden, welches die ethisch akzeptablen Brocken sind. Und woher dieses Kriterium auch kommen mag, aus der Heiligen Schrift selbst kann es nicht stammen; es steht vermutlich uns allen zur Verfügung, ganz gleich, ob wir religiös sind oder nicht.
Religionsvertreter versuchen, sogar in dieser erbärmlichen Geschichte noch ein wenig Anstand für die Gestalt Gottes zu retten. Tat Gott nicht etwas Gutes, indem er Isaaks Leben in letzter Minute rettete? Für den unwahrscheinlichen Fall, dass einer meiner Leser sich von diesem besonders obszönen Argument überzeugen lässt, möchte ich eine andere Geschichte über ein Menschenopfer zitieren, die weniger glücklich endete. Im Buch der Richter, Kapitel 11, schließt der Militärführer Jeftah mit Gott einen Handel ab: Wenn Gott dafür sorgt, dass Jeftah über die Ammoniter siegt, wird dieser ohne zu zögern alles als Brandopfer darbringen, »was mir aus meiner Haustür entgegengeht, wenn ich von den Ammonitern heil zurückkomme«. Jeftah schlägt die Ammoniter tatsächlich (»mit großen Schlägen«, wie es sich für die Handlung im Buch der Richter gehört) und kommt als Sieger nach Hause. Wie nicht anders zu erwarten, kommt ihm seine Tochter, sein einziges Kind, aus dem Haus entgegen und begrüßt ihn »mit Pauken und Reigen«; leider ist sie das erste lebende Wesen, das dies tut. Verständlicherweise zerreißt Jeftah seine Kleider, aber es gibt kein Entrinnen. Gott freut sich offensichtlich auf das versprochene Brandopfer, und angesichts der Umstände erklärt die Tochter sich anständigerweise einverstanden, geopfert zu werden. Sie bittet nur darum, er möge sie für zwei Monate ins Gebirge gehen lassen, damit sie ihre Jungfräulichkeit beweinen könne. Als die Zeit um ist, kehrt sie brav zurück und lässt sich von Jeftah braten. Dieses Mal fühlt Gott sich nicht bemüßigt, einzugreifen.
Gottes gewaltiger Zorn, wenn sein auserwähltes Volk mit einem Konkurrenzgott liebäugelt, erinnert an nichts anderes so stark wie an sexuelle Eifersucht der schlimmsten Art, und wieder einmal sollte ein moderner Ethiker darin alles
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