Der Gotteswahn
Feuer und Schwefel.
Einen gespenstischen Abglanz der Geschichte von Lot und den Sodomiten finden wir im Buch der Richter, Kapitel 19. Dort reist ein namenloser Levit (Priester) mit seiner Konkubine durch Gibea. Sie übernachten im Haus eines gastfreundlichen alten Mannes. Als sie beim Abendessen sitzen, kommen die Männer aus der Stadt, klopfen an die Tür und verlangen, der alte Mann solle seinen Gast herausgeben, »dass wir uns über ihn hermachen«. Mit fast genau den gleichen Worten wie Lot sagt der alte Mann: »Nicht, meine Brüder, tut doch nicht solch ein Unrecht! Nachdem dieser Mann in mein Haus gekommen ist, tut nicht solch eine Schandtat! Siehe, ich habe eine Tochter, noch eine Jungfrau, und dieser hat eine Nebenfrau; die will ich euch herausbringen. Die könnt ihr schänden und mit ihnen tun, was euch gefällt, aber an diesem Mann tut nicht eine solche Schandtat!« (Richter 19,23–24). Wieder kommt die frauenfeindliche Ethik glasklar zum Vorschein. Insbesondere bei der Formulierung »die könnt ihr schänden« läuft es mir eiskalt den Rücken herunter. Macht euch einen Spaß daraus, meine Tochter und die Konkubine des Priesters zu schänden und zu vergewaltigen, aber erweist meinem Gast, der ja schließlich ein Mann ist, den gebotenen Respekt. Allerdings geht die Sache bei aller Ähnlichkeit zwischen den beiden Geschichten für die Geliebte des Priesters nicht so glücklich aus wie für Lots Töchter.
Der Levit liefert sie der Meute aus, und dann findet die ganze Nacht über eine Massenvergewaltigung statt: »Die machten sich über sie her und trieben ihren Mutwillen mit ihr die ganze Nacht bis an den Morgen. Und als die Morgenröte anbrach, ließen sie sie gehen. Da kam die Frau, als der Morgen anbrach, und fiel hin vor die Tür des Hauses, in dem ihr Herr war, und lag da, bis es licht wurde« (Richter 19,25–26). Am Morgen findet der Levit seine Konkubine hingestreckt auf der Türschwelle liegen und sagt etwas, das uns heute als kalt und gefühllos erscheinen würde: »Lass uns ziehen.« Aber sie antwortet nicht. Sie ist tot. Daraufhin »nahm er ein Messer, fasste seine Nebenfrau und zerstückelte sie Glied für Glied in zwölf Stücke und sandte sie in das ganze Gebiet Israels.« Ja, Sie haben richtig gelesen. Schlagen Sie es nach: Richter 19,29. Seien wir nachsichtig und schieben wir es wieder einmal auf die allgegenwärtige Absonderlichkeit der Bibel. In Wirklichkeit ist der Bericht nicht ganz so absonderlich, wie er klingt. Es gab ein Motiv dafür: Er sollte Rachegelüste schüren, und das gelang ihm auch. Der Vorfall wurde zum Anlass für einen Rachefeldzug gegen den Stamm Benjamin, in dessen Verlauf, wie Richter 20 liebenswürdigerweise mitteilt, 60000 Menschen ums Leben kamen. Die Geschichte ähnelt der von Lot so stark, dass man sich fragen muss, ob hier ein Manuskriptbruchstück in irgendeinem längst vergessenen Schreibsaal an die falsche Stelle geraten ist. In jedem Fall ist es ein Zeichen für die chaotische Entstehungsgeschichte heiliger Texte.
Lots Onkel Abraham war der Begründer aller drei »großen« monotheistischen Religionen. Mit seiner Stellung als Patriarch hat er eine fast ebenso starke Vorbildfunktion wie Gott. Aber welcher heutige Ethiker würde sich ihm anschließen? Schon relativ früh in seinem langen Leben geht Abraham mit seiner Ehefrau Sara nach Ägypten und übersteht dort eine Hungersnot. Ihm wird klar, dass eine so hübsche Frau auch die Begehrlichkeit der Ägypter wecken kann und dass er als ihr Ehemann deshalb in Lebensgefahr ist. Also entschließt er sich, sie als seine Schwester auszugeben. In dieser Eigenschaft wird sie in den Harem des Pharao aufgenommen, und Abraham, der die Gunst des Herrschers genießt, wird reich.
Aber Gott ist mit dem angenehmen Arrangement nicht einverstanden und schickt sieben Plagen auf den Pharao und sein Haus (warum eigentlich nicht auf Abraham?). Der Pharao ist verständlicherweise betrübt und erkundigt sich, warum Abraham ihm nicht gesagt habe, dass Sara seine Frau ist. Dann gibt er sie ihrem Mann zurück und weist beide aus Ägypten aus (1. Mose 12,18–19). Seltsamerweise hat es den Anschein, als wollte das Ehepaar die gleiche Nummer noch einmal abziehen, dieses Mal bei Abimelech, dem König von Gerar. Auch er wird von Abraham veranlasst, Sara zu heiraten, wiederum in dem Glauben, sie sei nicht Abrahams Frau, sondern seine Schwester (1. Mose 20,2–5). Und auch er äußert seine Entrüstung nahezu mit den gleichen Worten wie
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