Der Gotteswahn
um private Gedanken und Handlungen, die nicht den privaten Vorlieben »der christlichen Mehrheit« entsprechen.
Ein weiterer wortgewaltiger Prediger mit einer geradezu besessenen Abneigung gegen Homosexuelle ist Pastor Fred Phelps von der Westboro Baptist Church. Als die Witwe von Martin Luther King starb, organisierte Pastor Phelps eine Gegendemonstration zu ihrer Bestattung und erklärte dort: »Gott hasst Schwule und Schwulenhelfer! Also hasst Gott auch Coretta Scott King, und jetzt quält er sie mit Feuer und Schwefel, wo der Wurm niemals stirbt und das Feuer niemals gelöscht wird, und für alle Zeiten möge der Rauch ihrer Qualen aufsteigen.« 137 Natürlich kann man Fred Phelps ohne weiteres als Wirrkopf abschreiben, aber er bekommt viel Unterstützung durch andere Menschen und ihr Geld. Glaubt man seiner eigenen Website, so hat Phelps seit 1991 in den Vereinigten Staaten, Kanada, Jordanien und dem Irak nicht weniger als 22000 Demonstrationen gegen Homosexuelle organisiert (also im Durchschnitt vier pro Tag) – Veranstaltungen, auf denen Slogans wie »Wir danken Gott für AIDS« zu lesen waren. Ein besonders liebenswürdiges Detail auf seiner Website ist ein automatischer Zähler, der angibt, wie viele Tage ein ganz bestimmter, namentlich benannter, verstorbener Homosexueller bereits in der Hölle brennt.
Die Einstellungen gegenüber der Homosexualität sagen viel darüber aus, was für eine Moral aus religiösem Glauben erwächst. Ein ebenso aufschlussreiches Beispiel ist die Frage der Abtreibung und der Unverletzlichkeit des menschlichen Lebens.
Glaube und die Unverletzlichkeit des menschlichen Lebens
Ein menschlicher Embryo ist eine Form menschlichen Lebens. Deshalb ist Abtreibung aus absolutistisch-religiöser Sicht nicht gestattet: Sie ist schlicht und einfach Mord. Ich weiß nicht genau, was ich mit meiner Beobachtung – die sich zugegebenermaßen nur auf Einzelfälle bezieht – anfangen soll, dass viele von denen, die der Tötung von Embryonen am leidenschaftlichsten widersprechen, auch ungewöhnlich erpicht darauf sind, Erwachsenen das Leben zu nehmen. Ich will fair sein: Dies trifft in der Regel nicht auf die Katholiken zu, die zu den lautstärksten Gegnern der Abtreibung gehören. Ein typisches Beispiel für die heutige Vorherrschaft der Religion ist vielmehr der »wiedergeborene« US-Präsident George W. Bush. Er und seine Gesinnungsgenossen sind knallharte Verteidiger des menschlichen Lebens, solange es sich um embryonales (oder todkrankes) Leben handelt. Das geht so weit, dass medizinische Forschung, die mit Sicherheit viele Menschenleben retten würde, verhindert wird. 138
Respekt vor menschlichem Leben ist aber auch der offenkundige Grund für die Ablehnung der Todesstrafe. Seit 1976, als der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten das Verbot der Todesstrafe aufhob, fanden in Texas mehr als ein Drittel aller Hinrichtungen der gesamten USA statt. Und unter Bushs Verantwortung wurden in Texas mehr Menschen hingerichtet als unter jedem anderen Gouverneur in der Geschichte des Bundesstaates – im Durchschnitt wurde alle neun Tage ein Todesurteil vollstreckt. Vielleicht tat Bush ja einfach nur seine Pflicht und führte die Gesetze des Bundesstaates aus? 139 Aber was soll man dann von dem berühmten Bericht des CNN-Journalisten Tucker Carlson halten? Carlson, selbst ein Befürworter der Todesstrafe, war schockiert darüber, wie Bush »humorvoll« eine Gefangene aus der Todeszelle nachäffte, die bei ihm, dem Gouverneur, um einen Aufschub der Hinrichtung nachgesucht hatte: ›»Bitte‹, wimmert Bush, die Lippen in gespielter Verzweiflung zitternd, ›bitte töten Sie mich nicht‹.« 140 Vielleicht wäre diese Frau auf mehr Mitgefühl gestoßen, wenn sie darauf hingewiesen hätte, dass sie früher einmal ein Embryo war.
Die Betrachtung von Embryonen scheint tatsächlich auf viele gläubige Menschen ganz außergewöhnliche Wirkungen zu haben. Mutter Teresa aus Kalkutta sagte in ihrer Rede zur Verleihung des Friedensnobelpreises tatsächlich: »Der größte Zerstörer des Friedens ist die Abtreibung.« Wie bitte? Kann man eine Frau mit einer solch blauäugigen Wahrnehmung noch in irgendeiner Frage ernst nehmen, ganz zu schweigen davon, dass man sie ernsthaft des Nobelpreises für würdig hält? Wer versucht ist, sich von der scheinheilig-heuchlerischen Mutter Teresa einnehmen zu lassen, sollte das Buch The Missionary Position: Mother Teresa in Theory and Practice (»Der missionarische
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