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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Standpunkt: Mutter Teresa in Theorie und Praxis«) von Christopher Hitchens lesen.
    Aber kehren wir zu den »amerikanischen Taliban« zurück und hören wir, was Randall Terry zu sagen hat, der Gründer einer Organisation namens Operation Rescue, die Abtreibungsärzte und -kliniken einschüchtert: »Wenn ich oder Menschen wie ich das Land führen würden, solltet ihr euch besser aus dem Staub machen. Denn wir werden euch finden, wir werden euch vor Gericht stellen, und wir werden euch hinrichten. Ich meine jedes Wort davon ernst. Ich werde es zu einem Teil meiner Mission machen, dafür zu sorgen, dass sie vor Gericht gestellt und hingerichtet werden.« Terry spricht hier von Ärzten, die Abtreibungen vornehmen, und dass er dabei christlich inspiriert ist, macht er in anderen Aussagen deutlich:

    Ich will, dass eine Welle der Intoleranz über euch hinwegfegt. Ich will, dass eine Welle des Hasses über euch hinwegfegt. Ja, Hass ist gut. […] Unser Ziel ist eine christliche Nation. Wir haben eine biblische Pflicht, und wir sind von Gott gerufen, damit wir dieses Land erobern. Wir wollen keine Gleichberechtigung. Wir wollen keinen Pluralismus.
    Unser Ziel muss einfach sein. Wir müssen eine christliche Nation haben, die auf Gottes Gesetz aufbaut, auf den Zehn Geboten. Da gibt es keine Ausrede. 141

    Dieser Ehrgeiz, etwas anzustreben, was man nur als christlich-faschistischen Staat bezeichnen kann, ist für die »amerikanischen Taliban« ganz und gar typisch. Es ist nahezu ein exaktes Spiegelbild des islamisch-faschistischen Staates, den viele Menschen in anderen Regionen der Welt unbedingt aufbauen wollen. Randall Terry hat – jedenfalls bisher – keine politische Macht. Aber zu der Zeit, da dieses Buch entsteht (2006) kann kein Beobachter der politischen Szene Amerikas es sich leisten, ihn auf die leichte Schulter zu nehmen.
    Ein Konsequentialist oder Utilitarist wird die Abtreibungsfrage wahrscheinlich ganz anders angehen und versuchen, das Leiden gegeneinander abzuwägen. Leidet der Embryo? (Vermutlich nicht, wenn der Schwangerschaftsabbruch vorgenommen wird, bevor er ein Nervensystem hat; und selbst wenn das Nervensystem bereits angelegt ist, leidet er wahrscheinlich weniger als beispielsweise eine ausgewachsene Kuh im Schlachthaus.) Leidet die Schwangere oder ihre Familie, wenn die Abtreibung nicht vorgenommen wird? Das ist durchaus möglich; und sollte die Entscheidung angesichts der Tatsache, dass der Embryo noch kein Nervensystem hat, nicht ohnehin dem gut entwickelten Nervensystem der Mutter überlassen bleiben?
    Dass auch ein Konsequentialist Gründe haben könnte, eine Abtreibung abzulehnen, ist nicht zu leugnen. Man könnte beispielsweise mit einer »schiefen Bahn« argumentieren (was ich allerdings in diesem Fall nicht tun würde). Der Embryo leidet vielleicht nicht, aber eine Kultur, welche die Tötung menschlichen Lebens hinnimmt, läuft leicht Gefahr, zu weit zu gehen: Wohin führt das alles? Zum Kindesmord? Der Augenblick der Geburt ist für die Definition von Regeln eine natürliche Grenze, und man könnte die Ansicht vertreten, dass es schwierig ist, in einem früheren Stadium der Embryonalentwicklung eine ähnliche Abgrenzung vorzunehmen. Solche Argumente über eine schiefe Ebene könnten also dazu führen, dass wir dem Augenblick der Geburt eine größere Bedeutung beimessen, als es ein streng interpretierter Utilitarismus gern tun würde.
    Auch Argumente gegen die Sterbehilfe kann man unter dem Gesichtspunkt der schiefen Bahn formulieren. Stellen wir uns einmal folgende (erfundene) Äußerung eines Moralphilosophen vor: »Wenn man den Ärzten gestattet, todkranke Patienten von ihrem Leiden zu befreien, legt demnächst jeder seine Oma um, um an ihr Geld zu kommen. Wir Philosophen sind dem Absolutismus vielleicht entwachsen, aber die Gesellschaft als Ganzes braucht absolute Regeln wie ›Du sollst nicht töten‹, sonst weiß niemand mehr, wo die Grenze ist. Unter manchen Umständen hat der Absolutismus vielleicht – wenn auch aus den falschen Gründen in einer alles andere als idealen Welt – bessere Folgen als der naive Konsequentialismus. Aus philosophischen Gründen könnte man vielleicht nur schwer verbieten, dass Menschen, die schon tot sind und um die niemand trauert – beispielsweise Obdachlose nach einem Verkehrsunfall – aufgegessen werden. Aber aus Gründen der schiefen Bahn ist das Kannibalismustabu so wertvoll, dass wir es nicht verlieren dürfen.«
    Eine solche Argumentation nach

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