Der Gotteswahn
gesagt: Abfall bedeutet nicht, dass Menschen oder Sachwerte geschädigt werden. Es handelt sich um ein reines Gedankenverbrechen, um Orwells Begriff aus 1984 zu verwenden, und nach offiziellem islamischem Recht steht darauf die Todesstrafe. Es gibt sogar Beispiele, dass sie tatsächlich vollstreckt wird: Am 3. September 1992 wurde Sadiq Abdul Karim Malallah in Saudi-
Arabien öffentlich enthauptet, nachdem man ihn entsprechend dem Gesetz der Abtrünnigkeit und Gotteslästerung überführt hatte. 131
In einer Fernsehsendung traf ich einmal mit Sir Iqbal Sacranie zusammen, den ich im ersten Kapitel als führenden »gemäßigten« Muslim Großbritanniens bezeichnet habe. Ich fragte ihn damals nach der Todesstrafe als Sühne für Abtrünnigkeit. Er wand und krümmte sich, war aber nicht in der Lage, sie zu leugnen oder zu kritisieren. Stattdessen versuchte er immer wieder, das Thema zu wechseln, und behauptete, es handele sich um ein unwichtiges Detail. Und ein solcher Mann wurde von der britischen Regierung geadelt, weil er sich angeblich für »gute Beziehungen zwischen den Religionen« eingesetzt hatte.
Christen sollten deswegen allerdings nicht in Selbstgefälligkeit verfallen. Noch 1922 wurde John William Gott in Großbritannien wegen Gotteslästerung zu neun Monaten Zwangsarbeit verurteilt: Er hatte Jesus mit einem Clown verglichen. Fast unglaublich, aber wahr: Das Verbrechen der Gotteslästerung findet sich noch heute im britischen Strafgesetzbuch, und 2005 stellte eine christliche Gruppe einen privaten Strafantrag gegen die BBC, weil diese Jerry Springer , the Opera ausgestrahlt hatte. 132
In den Vereinigten Staaten bot es sich in den letzten Jahren geradezu an, den Begriff »amerikanische Taliban« zu prägen, und eine schnelle Google-Suche zeigt, dass dies auf mindestens einem Dutzend Websites bereits geschehen ist. Die dort zusammengetragenen Zitate von amerikanischen Religionsführern und religiösen Politikern erinnern beängstigend an die engstirnige Bigotterie, herzlose Grausamkeit und schiere Bösartigkeit der afghanischen Taliban, des Ayatollah Chomeini und der wahhabitischen Behörden in Saudi-Arabien. Eine besonders reichhaltige Quelle für bösartig-übergeschnappte Äußerungen ist die Website »The American Taliban«.
Den Vogel schießt dort eine gewisse Ann Coulter ab, die, wie amerikanische Kollegen mir versichert haben, keine Erfindung der Satirezeitschrift The Onion ist. Sie wird mit den Worten zitiert: »Wir sollten ihre Länder besetzen, ihre Anführer töten und sie zum Christentum bekehren.« 133 Andere Prunkstücke sind der Kongressabgeordnete Bob Dorman mit »Das Wort ›Gay‹ sollte man nur benutzen, wenn es ›Got Aids yet?‹ [›Schon Aids gekriegt?‹] bedeutet«, der General William G. Boykin mit »George Bush wurde nicht von einer Mehrheit der Wähler in den Vereinigten Staaten gewählt, sondern von Gott ernannt« sowie als älteres Zitat die berühmte Aussage von Ronald Reagans Innenminister zum Umweltschutz: »Wir brauchen die Umwelt nicht zu schützen, das Jüngste Gericht steht kurz bevor!«
Die afghanischen und die amerikanischen Taliban sind gute Beispiele dafür, was passiert, wenn Menschen ihre heiligen Schriften wörtlich und ernst nehmen. Sie führen uns heute auf entsetzliche Weise vor Augen, wie das Leben unter der Theokratie des Alten Testaments ausgesehen haben könnte. Ein ganzes Buch, das die Gefährdung durch die »christlichen Taliban« (allerdings nicht unter diesem Namen) darstellt, ist The Fundamentals of Extremism: The Christian Right in America (»Die Grundlagen des Extremismus: Die christliche Rechte in Amerika«) von Kimberly Blaker.
Glaube und Homosexualität
Im Afghanistan der Taliban war Hinrichtung die offizielle Strafe für Homosexualität. Die Methode war besonders geschmackvoll: Das Opfer wurde unter einer Mauer, die man über ihm umstürzte, lebendig begraben. Das »Verbrechen« selbst bestand in einer privaten Handlung, vollzogen von erwachsenen Menschen im gegenseitigen Einverständnis, ohne dass irgendjemand geschädigt wurde. Auch hier haben wir also das klassische Kennzeichen des religiösen Absolutismus. Allerdings besteht auch in meinem eigenen Land kein Grund zur Selbstgefälligkeit. Private Homosexualität war in Großbritannien ebenfalls ein Straftatbestand, und zwar – erstaunlich, aber wahr – bis 1967. Der britische Mathematiker Alan Turing, zusammen mit John von Neumann ein Anwärter für den Titel »Vater des Computers«,
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