Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
Vom Netzwerk:
Gesetz für Ehebruch die Todesstrafe durch Steinigung vorsieht. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass er dieses Beispiel als offensichtlich übertrieben abtun würde, aber er überraschte mich. Vergnügt erklärte er, man solle Ehebrecher nach einem ordnungsgemäßen Gerichtsverfahren durchaus hinrichten.
    Darauf erwiderte ich, Paul Hill habe mit Brays voller Unterstützung kein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren angestrengt, sondern er habe das Gesetz selbst in die Hand genommen und einen Arzt getötet. Diese Tat seines Amtsbruders verteidigte Bray dann mit den gleichen Argumenten, die er auch in einem Interview mit Juergensmeyer gebraucht hatte: Er machte einen Unterschied zwischen einer Tötung zur Vergeltung, beispielsweise wenn ein Arzt bereits im Ruhestand lebe, und der Tötung eines praktizierenden Arztes, um zu verhindern, »dass er regelmäßig Babys ermordet«. Darauf hielt ich ihm etwas anderes vor: Ich sagte, Paul Hill habe zwar zweifellos aus ehrlicher Überzeugung gehandelt, aber die Gesellschaft werde doch in entsetzlicher Anarchie versinken, wenn jeder sich auf seine persönliche Überzeugung beriefe und das Gesetz in die eigenen Hände nehme, statt sich an die Gesetze seines Landes zu halten. Ob es nicht der richtigere Weg sei, sich mit demokratischen Mitteln um eine Änderung der Gesetze zu bemühen?
    Darauf erwiderte Bray: »Nun ja, das Problem ist, dass die Gesetze, die wir haben, keine authentischen Gesetze sind: Wir haben Gesetze, die von Menschen schnell nach Lust und Laune gemacht wurden; das haben wir zum Beispiel an dem sogenannten Gesetz zum Recht auf Abtreibung gesehen, das den Menschen von Richtern aufgezwungen wurde …« Damit waren wir bei einer Diskussion über die Verfassung der Vereinigten Staaten und die Entstehung von Gesetzen. Brays Einstellung zu solchen Themen erinnerte mich stark an die Haltung militanter Muslime in Großbritannien, die ganz offen verkünden, sie fühlten sich nur an das islamische Recht gebunden, nicht aber an die demokratisch verabschiedeten Gesetze ihrer Wahlheimat.
    Paul Hill wurde 2003 wegen des Mordes an Dr. Britton und dessen Leibwächter hingerichtet. Zuvor erklärte er jedoch noch, er würde es jederzeit wieder tun, um ungeborene Kinder zu retten. In aufrichtiger Vorfreude, für sein Anliegen zu sterben, erklärte er auf einer Pressekonferenz: »Ich glaube, indem der Staat mich hinrichtet, macht er mich zum Märtyrer.« Zu den rechtsextremen Abtreibungsgegnern, die gegen seine Hinrichtung protestierten, gesellten sich in einer unheiligen Allianz auch linksgerichtete Gegner der Todesstrafe; diese drängten Jeb Bush, den Gouverneur von Florida, »dem Märtyrergehabe von Paul Hill ein Ende zu machen«. Sie vertraten die durchaus plausible Ansicht, die juristisch sanktionierte Tötung von Hill werde weitere Morde provozieren und damit genau das Gegenteil der Abschreckungswirkung haben, die von der Todesstrafe angeblich ausgehe. Hill selbst lächelte auf dem Weg zur Hinrichtungskammer und sagte: »Ich rechne mit einer großen Belohnung im Himmel. […] Ich freue mich auf Seine Herrlichkeit.« 142 Außerdem regte er an, andere sollten seine gewalttätigen Ziele weiter verfolgen. Da man mit Anschlägen zur Vergeltung seines »Märtyrertodes« rechnete, wurde die Polizei während der Hinrichtung in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Mehrere Personen, die mit dem Fall in Verbindung gebracht wurden, erhielten Drohbriefe, in denen Gewehrkugeln lagen.
    Die Ursache der ganzen entsetzlichen Vorgänge liegt in einer unterschiedlichen Wahrnehmung. Manche Menschen halten Abtreibung aufgrund ihrer religiösen Überzeugung für Mord und sind bereit, zum Schutz der von ihnen als »Babys« bezeichneten Embryonen selbst Morde zu begehen. Auf der anderen Seite stehen die ebenso aufrichtigen Abtreibungsbefürworter, die entweder andere religiöse Überzeugungen oder überhaupt keine Religion haben und sich an einer gut durchdachten konsequentialistischen Ethik orientieren. Sie halten sich für Idealisten und bieten den Patientinnen, die sich in einer Notlage befinden und ansonsten zu gefährlichen, unqualifizierten Hinterhof-Quacksalbern gehen würden, eine medizinische Dienstleistung an. Beide Seiten halten die jeweils andere für Mörder oder Mordbefürworter. Und beide Seiten sind auf ihre Art gleichermaßen ehrlich.
    Die Sprecherin einer anderen Abtreibungsklinik bezeichnete Paul Hill als gefährlichen Psychopathen. Aber Menschen wie er halten sich selbst nicht

Weitere Kostenlose Bücher