Der Gotteswahn
beging 1954 Selbstmord, nachdem man ihn wegen der Straftat privater homosexueller Handlungen verurteilt hatte. Zugegeben: Turing wurde nicht lebendig unter einer von einem Panzer umgeworfenen Mauer begraben. Er hatte die Wahl zwischen zwei Jahren Gefängnis (man kann sich vorstellen, wie die anderen Häftlinge mit ihm umgegangen wären) und einer Behandlung mit Hormonspritzen, die einer chemischen Kastration gleichgekommen wäre und dazu geführt hätte, dass er weibliche Brüste bekommen hätte. Seine endgültige private Entscheidung fiel auf einen Apfel, den er mit einer Zyankalispritze präpariert hatte. 134
Im Zweiten Weltkrieg war Turing der entscheidende Kopf bei der Entschlüsselung der deutschen Enigma-Codes gewesen; man kann also durchaus behaupten, dass er zum Sieg über die Nazis einen größeren Beitrag geleistet habe als Eisenhower oder Churchill. Dank Turing und seinen Kollegen vom »Ultra«-Projekt in Bletchley Park waren die alliierten Generäle an der Front über lange Zeit hinweg über die Pläne der Deutschen bereits im Bilde, bevor die deutschen Generäle sie umsetzen konnten. Als Turings Arbeit nach dem Krieg nicht mehr der Geheimhaltung unterlag, hätte man ihn eigentlich in den Adelsstand erheben und zum Retter der Nation erklären müssen. Stattdessen wurde das sanftmütige, stotternde, exzentrische Genie zerstört, und zwar wegen eines »Verbrechens«, das in der Privatsphäre begangen wurde und niemandem Schaden zufügte. Wieder einmal begegnet uns das unverkennbare Markenzeichen der glaubensorientierten Moralisten: Sie sorgen sich leidenschaftlich um das, was andere Menschen privat tun (oder sogar denken).
Die Einstellung der »amerikanischen Taliban« zur Homosexualität ist ein Musterbeispiel für ihren religiösen Absolutismus. Bei Reverend Jerry Falwell, dem Gründer der Liberty University, klingt das so: »AIDS ist nicht nur die Strafe Gottes für Homosexuelle; es ist Gottes Strafe für eine Gesellschaft, die Homosexuelle toleriert.« 135 Das Erste, was mir an solchen Leuten auffällt, ist ihre großartige christliche Nächstenliebe. Was für eine Wählerschaft wählt Legislaturperiode für Legislaturperiode einen derart dümmlich-bigotten Mann wie den republikanischen Senator Jesse Helms aus North Carolina? Einen Mann, der einmal schimpfte: »Die New York Times und die Washington Post sind selbst mit Homosexuellen verseucht. So gut wie alle da unten sind homosexuell oder lesbisch.« 136 Wahrscheinlich eine Wählerschaft, die Moral in einem eng gefassten religiösen Rahmen betrachtet und sich von allen bedroht fühlt, die nicht ihren absolutistischen Glauben teilen.
Ich habe bereits Pat Robertson, den Gründer der Christian Coalition, zitiert. Er hatte 1988 ernsthafte Chancen, von der Republikanischen Partei als Präsidentschaftskandidat nominiert zu werden, und er sammelte drei Millionen freiwillige Wahlkampfhelfer sowie eine vergleichbare Geldsumme – eine beunruhigend starke Unterstützung angesichts der Tatsache, dass folgende Zitate für ihn typisch sind: »[Homosexuelle] wollen in die Kirchen kommen, den Gottesdienst stören und Blut verspritzen, damit alle Menschen AIDS bekommen, und den Geistlichen wollen sie ins Gesicht spucken.« »[Familienplanung] bedeutet, dass man den Kindern die Unzucht beibringt und die Menschen zum Ehebruch verführt, zu jeder Art von Sodomie, Homosexualität und lesbischen Beziehungen – also zu allem, was die Bibel verurteilt.« Auch bei Robertsons Einstellung zu Frauen würde den afghanischen Taliban ganz warm ums schwarze Herz werden: »Ich weiß, dass es die Damen schmerzt, so etwas zu hören, aber wenn sie heiraten, haben sie die Führerschaft eines Mannes anerkannt, nämlich ihres Ehemannes. Christus ist der Haushaltsvorstand, und der Ehemann ist der Führer der Frau, so ist es nun einmal. Punkt.«
Gary Potter, Präsident der Catholics for Christian Political Action, hat Folgendes zu sagen: »Wenn die christliche Mehrheit in diesem Land die Führung übernimmt, wird es keine satanischen Kirchen mehr geben, keine frei verkäufliche Pornografie, kein Gerede über die Rechte von Homosexuellen. Nachdem die christliche Mehrheit die Kontrolle übernommen hat, wird man Pluralismus als unmoralisch und böse ansehen, und der Staat wird niemandem das Recht einräumen, Böses zu praktizieren.« Wie man aus diesem Zitat eindeutig erkennt, sind mit »böse« keineswegs Handlungen gemeint, die für andere Menschen schlimme Folgen haben. Vielmehr geht es
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