Der Gotteswahn
im Glauben den Fanatismus fördert
Im Zusammenhang mit der dunklen Seite des Absolutismus habe ich die amerikanischen Christen erwähnt, die Abtreibungskliniken in die Luft sprengen, und die Taliban in Afghanistan, die insbesondere den Frauen so viel Grausamkeiten zugefügt haben, dass es mir wehtut, sie alle aufzuzählen. Ich hätte auch den Iran der Ayatollahs nennen können, oder Saudi-Arabien unter dem Königshaus Saud, wo Frauen nicht Auto fahren dürfen und Probleme haben, wenn sie das Haus ohne einen männlichen Verwandten verlassen wollen (bei dem es sich allerdings – welch großzügiges Zugeständnis – auch um einen kleinen Jungen handeln kann). Einen verheerenden Bericht über die Lage der Frauen in Saudi-Arabien und anderen heutigen Gottesstaaten enthält das Buch Price of Honour (Der Himmel der Frau ist unter den Füßen ihres Mannes) von Jan Goodwin. Johann Hari, einer der aufgewecktesten Kolumnisten der Londoner Zeitung Independent , schrieb einen Artikel mit einem Titel, der keiner weiteren Erläuterung bedarf: »Am besten unterwandert man die Dschihadisten, indem man einen Aufstand der muslimischen Frauen organisiert.« 146
Oder kehren wir zum Christentum zurück: Ich hätte auch die amerikanischen »Weltuntergangschristen« nennen können, die so großen Einfluss auf die amerikanische Nahostpolitik haben: Sie lassen sich von dem biblischen Glauben leiten, Israel habe ein gottgegebenes Anrecht auf alle Landflächen in Palästina. 147 Manche Weltuntergangschristen gehen noch weiter und sehnen sogar einen Atomkrieg herbei, weil sie darin jenes »Armageddon« sehen, das nach ihrer bizarren, aber auch beunruhigend populären Deutung der Offenbarung Johannis die Wiederkehr Christi beschleunigt. Ich kann es nicht besser formulieren als Sam Harris mit seinem beängstigenden Kommentar in Letter to a Christian Nation:
Es ist deshalb keine übertriebene Behauptung, wenn man sagt: Würde die Stadt New York plötzlich in einem Feuerball verschwinden, würde ein nicht unbedeutender Anteil der amerikanischen Bevölkerung in der anschließend aufsteigenden, pilzförmigen Wolke einen Silberstreif erkennen, denn es würde ihnen anzeigen, dass jetzt das Beste geschieht, was überhaupt geschehen kann: die Wiederkehr Christi. Natürlich liegt sonnenklar auf der Hand, dass solche Überzeugungen uns nicht gerade helfen werden, eine dauerhafte Zukunft aufzubauen – sei es sozial, wirtschaftlich, ökologisch oder geopolitisch. Man stelle sich die Folgen vor, wenn ein maßgeblicher Teil der US-Regierung glauben würde, dass das Ende der Welt tatsächlich bevorstehe und dass es sich um ein ruhmreiches Ende handeln werde. Die Tatsache, dass offenbar fast die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung so etwas ausschließlich aufgrund eines religiösen Dogmas glaubt, sollte man als ethischen und intellektuellen Notstand auffassen.
Es gibt also Menschen, die aufgrund ihres religiösen Glaubens völlig außerhalb meines allgemein anerkannten, aufgeklärten »ethischen Zeitgeistes« stehen. Sie repräsentieren das, was ich als dunkle Seite des religiösen Absolutismus bezeichnet habe, und werden häufig als Extremisten bezeichnet. In diesem Abschnitt geht es mir aber darum, dass auch eine sanftere, gemäßigte Religion zu dem Glaubensklima beiträgt, in dem der Extremismus gedeihen kann.
Im Juli 2005 war London von mehreren koordinierten Selbstmordanschlägen betroffen: Drei Bomben explodierten in der U-Bahn, eine in einem Bus. Das Ganze war nicht so schlimm wie der Anschlag auf das World Trade Center 2001, und mit Sicherheit kam es nicht so unerwartet (eigentlich hatte man sich in London auf so etwas gefasst gemacht, seit Blair uns gegen unseren Willen zu Komplizen von Bushs Irak-Invasion gemacht hatte). Dennoch war ganz Großbritannien über die Bomben von London entsetzt. Die Zeitungen bemühten sich verzweifelt zu analysieren, was vier junge Männer dazu treiben konnte, sich selbst in die Luft zu sprengen und eine Menge unschuldiger Menschen mit in den Tod zu reißen. Die Mörder waren britische Staatsbürger mit guten Manieren und einer Vorliebe für Kricket, genau der Typ junger Männer, in deren Gesellschaft man sich wohlfühlt.
Warum taten diese jungen Kricketliebhaber so etwas? Im Gegensatz zu ihresgleichen in Palästina, bei den japanischen Kamikazefliegern oder den Tamilentigern in Sri Lanka konnten diese menschlichen Bomben nicht damit rechnen, dass ihre Angehörigen durch den Verlust zu Helden würden, die
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