Der Gotteswahn
von denen man durchaus behaupten kann, dass sie für unsere Gesellschaft eine Bereicherung darstellen. Aber wie Humphrey betont, besteht hier ein gravierender Unterschied: Mönche wählen aus freien Stücken das Leben im Kloster. Die Kinder der Amischen dagegen haben sich nie dafür entschieden, Amische zu sein; sie wurden in die Gemeinschaft hineingeboren und hatten keine andere Wahl.
Es hat schon etwas atemberaubend Anmaßendes und auch Unmenschliches, wenn man Menschen, insbesondere Kinder, auf dem Altar der »Vielfalt« und der wünschenswerten Erhaltung verschiedener religiöser Traditionen opfert. Wir anderen freuen uns über Autos und Computer, Impfstoffe und Antibiotika, aber ihr seltsamen kleinen Leute mit euren Hauben und Kniebundhosen, mit euren Pferdewagen, eurem altertümlichen Dialekt und euren Plumpsklos, ihr bereichert unser Leben. Natürlich muss es euch erlaubt sein, eure Kinder auf eurer Zeitreise ins frühe 18. Jahrhundert bei euch festzuhalten, denn sonst würde uns etwas Unwiederbringliches verloren gehen: ein Teil der großartigen Vielfalt unserer menschlichen Kultur. Ein kleiner Teil von mir kann erkennen, dass eine solche Argumentation etwas für sich hat. Aber der größere Teil fühlt sich dabei ausgesprochen unwohl.
Ein Erziehungsskandal
Tony Blair, der Premierminister meines Heimatlandes, berief sich auf die »Vielfalt«, als er im Unterhaus auf eine Anfrage der Abgeordneten Jenny Tonge antwortete und dabei rechtfertigen sollte, warum eine Schule im Nordosten Englands, die (nahezu als Einzige in Großbritannien) den wortwörtlichen biblischen Kreationismus lehrt, staatliche Subventionen erhielt. Mr. Blair erwiderte, es wäre ein Unglück, wenn Bedenken in dieser Frage die Bemühungen beeinträchtigten, »ein möglichst vielfältiges Schulsystem« zu erhalten. 157 Die fragliche Schule, das Emmanuel College in Gateshead, ist eine der »City Academies«, die von der Blair-Regierung im Rahmen einer stolzen Initiative gegründet wurden. Reiche Wohltäter wurden und werden aufgefordert, einen relativ geringen Geldbetrag (im Fall des Emmanuel College zwei Millionen Pfund) bereitzustellen, der dann durch eine wesentlich größere Summe aus Steuermitteln aufgestockt wird (20 Millionen Pfund für die Schule, dazu die laufenden Betriebskosten und Gehälter); der Wohltäter erwirbt sich damit das Recht, über das Ethos der Schule zu bestimmen, die Mehrheit in der Schulverwaltung zu ernennen, Richtlinien für Aufnahme und Ausschluss von Schülern aufzustellen, und vieles andere mehr.
Der 10-Prozent-Wohltäter des Emmanuel College ist Sir Peter Vardy, ein wohlhabender Autohändler mit dem ehrenwerten Wunsch, den heutigen Kindern die Ausbildung zu ermöglichen, die er selbst gern gehabt hätte. Weniger ehrenwert ist dagegen sein Wunsch, ihnen auch seine persönlichen religiösen Überzeugungen aufzudrücken. [55] Leider ließ sich Vardy mit einer Clique amerikanisch inspirierter fundamentalistischer Lehrer ein; ihr Kopf ist Nigel McQuoid, der früher das Emmanuel College leitete und heute Direktor einer ganzen Gruppe von Vardy-Schulen ist. Das Niveau von McQuoids naturwissenschaftlichen Kenntnissen zeigt sich an seiner Überzeugung, die Welt sei noch keine 10 000 Jahre alt, sowie in folgendem Zitat: »Aber der Gedanke, dass wir uns einfach aus einem Knall entwickelt haben, dass wir früher Affen waren, erscheint völlig unglaublich, wenn man sich die Komplexität des menschlichen Körpers ansieht. […] Wenn man Kindern sagt, dass ihr Leben kein Ziel hat – dass sie nur eine chemische Mutation sind –, dann ist das nicht förderlich für ihr Selbstbewusstsein.« 158
Kein Naturwissenschaftler hat jemals behauptet, ein Kind sei eine »chemische Mutation«. Diese Formulierung in einem solchen Zusammenhang zu verwenden ist analphabetischer Unsinn – auf der gleichen Stufe wie die Erklärungen des »Bischofs« Wayne Malcolm, Leiter der Christian-Life-City-Kirche in Hackney im Osten Londons, der nach einem Bericht des Guardian vom 18. April 2006 »die wissenschaftlichen Belege für die Evolution infrage stellt«. Wie viel Malcolm von den Belegen versteht, die er infrage stellt, kann man aus folgender Aussage schließen: »In den Fossilfunden fehlen eindeutig die Zwischenstufen der Entwicklung. Wenn ein Frosch sich in einen Affen verwandelt hat, sollte es dann nicht eine Menge Fraffen geben?«
Nun ja, auch Mr. McQuoid hat nicht Naturwissenschaften studiert, also sollten wir uns fairnesshalber an den
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