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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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innerhalb weniger Tage stürben, wenn ein böser »Zauber« über sie verhängt werde – offensichtlich durch irgendeinen psychosomatischen Angsteffekt. Dann warf er die Frage auf ob Amnesty International – der Nutznießer der Vortragsreihe, in deren Rahmen er auftrat – einen Feldzug gegen verletzende oder schädliche Reden oder Publikationen führen sollte. Er beantwortete die Frage selbst mit einem klaren Nein gegenüber einer solchen allgemeinen Zensur: »Die Meinungsfreiheit ist so kostbar, dass man nicht damit herumspielen sollte.« Doch dann schockierte er sein eigenes liberales Ich, indem er sich für die Zensur in einem wichtigen Ausnahmefall einsetzte. Einzugreifen sei bei schweren Fehlentwicklungen in der ethischen und religiösen Erziehung von Kindern,

    insbesondere zu Hause, wo es den Eltern gestattet – und sogar von ihnen erwartet – wird, dass sie für ihre Kinder bestimmen, was als wahr und gelogen, als richtig und falsch zu gelten hat. Nach meiner Überzeugung ist es ein Menschenrecht der Kinder, dass ihr Geist nicht durch die schlechten Gedanken anderer Menschen verkrüppelt wird – ganz gleich, wer diese anderen Menschen sind. Entsprechend haben Eltern kein gottgegebenes Recht, ihre Kinder auf irgendeine von den Eltern gewählte Weise kulturell zu indoktrinieren: kein Recht, den Wissenshorizont ihrer Kinder zu beschränken, sie in einer Atmosphäre von Dogmen und Aberglauben aufwachsen zu lassen oder darauf zu bestehen, dass sie dem einfachen, schmalen Weg des elterlichen Glaubens folgen.
    Kurz gesagt, Kinder haben das Recht, dass ihr Geist nicht durch Unsinn verdorben wird, und wir als Gesellschaft haben die Pflicht, sie davor zu schützen. Den Kindern beispielsweise beizubringen, an den wörtlichen Wahrheitsgehalt der Bibel zu glauben oder anzunehmen, dass die Planeten über ihr Leben bestimmen, sollten wir Eltern ebenso wenig gestatten, wie wir ihnen erlauben, ihren Kindern die Zähne auszuschlagen oder sie in einem Kerker einzusperren.

    Eine derart folgenschwere Aussage braucht natürlich eine umfassende Begründung, und die bekam sie auch. Ist es nicht eine Frage der persönlichen Meinung, was Unsinn ist? Wurde nicht auch die orthodoxe Naturwissenschaft so oft über den Haufen geworfen, dass es uns zur Vorsicht mahnen sollte? Naturwissenschaftler halten es vielleicht für Unsinn, Astrologie oder den wörtlichen Wahrheitsgehalt der Bibel zu lehren, aber andere sind vom Gegenteil überzeugt, und haben nicht auch sie das Recht, dies ihren Kindern beizubringen? Ist es nicht genauso arrogant, wenn man darauf beharrt, Kinder sollten Naturwissenschaft lernen?
    Ich bin meinen Eltern sehr dankbar dafür, dass sie überzeugt waren, man solle Kindern weniger beibringen, was sie denken, als vielmehr, wie sie denken. Wenn sie sich auf faire, ordnungsgemäße Weise mit allen naturwissenschaftlichen Belegen beschäftigt haben, erwachsen werden und dann zu der Überzeugung gelangen, die Bibel sei wortwörtlich wahr oder ihr Leben werde von den Bewegungen der Planeten bestimmt, dann ist dies ihr gutes Recht. Wichtig ist dabei, dass es ihr Recht ist, selbst zu entscheiden, was sie denken wollen, und dass es nicht das Recht der Eltern ist, es ihnen aufzuzwingen , nur weil sie die Stärkeren sind. Besonders wichtig ist das natürlich, wenn man bedenkt, dass die Kinder von heute die Eltern der nächsten Generation sind und dann möglicherweise jede Indoktrination, die sie geprägt hat, wiederum weitergeben.
    Solange Kinder klein, verletzlich und schutzbedürftig sind, zeigt sich wahre moralische Obhut nach Humphreys Ansicht darin, dass man sich ehrlich darum bemüht zu erraten, wie sie sich selbst entscheiden würden, wenn sie dazu schon alt genug wären. Als bewegendes Beispiel nennt er das kleine Inkamädchen, dessen 500 Jahre alte, tiefgefrorene Überreste 1995 in den Bergen von Peru gefunden wurden. Der Anthropologe, der die Leiche entdeckte, bezeichnete sie als Opfer eines Ritualmordes. Wie Humphrey berichtet, zeigte das US-amerikanische Fernsehen eine Dokumentation über das »Mädchen aus dem Eis«. Darin wurden die Zuschauer aufgefordert,

    über das spirituelle Engagement der Inkapriester zu staunen und mit dem Mädchen auf seiner letzten Reise den Stolz und die Aufregung zu teilen, dass ihr die besondere Ehre zuteil wurde, geopfert zu werden. Letztlich lautete die Aussage der Fernsehsendung: Die Praxis des Menschenopfers ist auf ihre Weise eine ehrenvolle kulturelle Errungenschaft – ein

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