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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Trotzig fragen sie: Wenn man die Religion wegnimmt, was tritt dann an ihre Stelle? Was haben wir den sterbenden Patienten anzubieten, den weinenden Hinterbliebenen, den einsamen Eleanor Rigbys, für die Gott der einzige Freund ist?
    Die erste Antwort darauf sollte eigentlich überflüssig sein. Dass Religion die Fähigkeit hat, zu trösten, macht sie nicht wahrer. Selbst wenn wir ein gewaltiges Zugeständnis machen; wenn wir schlüssig nachweisen, dass der Glaube an die Existenz Gottes für das psychische und emotionale Wohlbefinden der Menschen völlig unentbehrlich ist; selbst wenn alle Atheisten verzweifelte Neurotiker wären, die von einer erbarmungslosen kosmischen Angst in den Selbstmord getrieben würden – selbst dann wäre das alles nicht der Hauch eines Beleges dafür, dass religiöser Glaube der Wahrheit entspricht. Es könnte allerdings ein Beleg dafür sein, dass es wünschenswert ist, sich selbst von der Existenz Gottes zu überzeugen, obwohl er nicht existiert.
    Wie bereits erwähnt, unterscheidet Dan Dennett in Breaking the Spell: Religion as a Natural Phenomenon (»Die Durchbrechung des Zaubers: Religion als natürliches Phänomen«) zwischen dem Glauben an Gott und dem Glauben an den Glauben. Man hält es für wünschenswert, zu glauben, selbst wenn der Glaube als solcher falsch ist: »Herr, ich glaube; hilf meinem Unglauben« (Markus 9,24). Die Gläubigen werden aufgefordert, ihren Glauben zu bekennen , ganz gleich, ob sie davon überzeugt sind oder nicht. Vielleicht muss man etwas nur oft genug wiederholen, um sich irgendwann davon zu überzeugen, dass es die Wahrheit ist. Sicher kennt jeder von uns andere Menschen, die Gefallen an der Vorstellung von religiösem Glauben finden und Angriffe darauf abwehren, während sie gleichzeitig widerwillig einräumen, dass sie selbst keinen Glauben haben. Ich war ein wenig schockiert, als ich folgendes Musterbeispiel bei meinem wissenschaftlichen Vorbild Peter Medawar fand, der 1984 schrieb: »Ich bedaure sehr, dass ich nicht an Gott und an religiöse Antworten im Allgemeinen glaube, weil es meiner Überzeugung nach vielen Trostbedürftigen Zufriedenheit und Trost verschaffen würde, wenn wir gute wissenschaftliche und philosophische Gründe für den Glauben an Gott finden könnten.« 168
    Seit ich Dennetts Unterscheidung kenne, finde ich sie bei vielen Gelegenheiten immer wieder bestätigt. Es ist wohl kaum eine Übertreibung, wenn ich behaupte, dass die Mehrzahl der Atheisten in meinem Bekanntenkreis ihre Überzeugung hinter einer frommen Fassade verbirgt. Sie glauben selbst nicht an irgendetwas Übernatürliches, haben aber nach wie vor eine unbestimmte Schwäche für irrationale Überzeugungen. Sie glauben an den Glauben. Es ist verblüffend, wie viele Menschen anscheinend den Unterschied zwischen »X ist wahr« und »Es ist wünschenswert, dass die Menschen X für wahr halten« nicht kennen. Vielleicht fallen sie auf den logischen Fehler auch nicht wirklich herein, sondern halten die Wahrheit im Vergleich zu den Gefühlen der Menschen einfach für unwichtig. Ich möchte menschliche Gefühle nicht herabwürdigen, aber in jedem Gespräch sollte klar sein, wovon die Rede ist: von Gefühlen oder von der Wahrheit. Beide können wichtig sein, aber es sind zwei unterschiedliche Dinge.
    Ohnehin war mein hypothetisches Zugeständnis hergeholt und falsch. Denn ich habe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Atheisten im Allgemeinen zu unglücklicher, angstbesetzter Verzweiflung neigen. Manche Atheisten sind glücklich. Andere fühlen sich entsetzlich. Auch manche Christen, Juden, Muslime, Hindus und Buddhisten fühlen sich entsetzlich, während andere glücklich sind. Es mag statistische Befunde zum Zusammenhang zwischen Glücklichsein und Glauben (oder Unglauben) geben, aber dass man daraus in der einen oder anderen Richtung einen starken Effekt ablesen kann, bezweifle ich. Interessanter ist für mich die Frage, ob es einen stichhaltigen Grund gibt, sich deprimiert zu fühlen, wenn man ohne Gott lebt. Am Ende dieses Buches werde ich genau die gegenteilige Ansicht vertreten: Die Aussage, man könne auch ohne übernatürliche Religion ein glückliches, erfülltes Leben führen, ist eine Untertreibung. Zunächst jedoch muss ich die Behauptung untersuchen, dass die Religion Trost biete.
    Trost ist nach der Definition des Shorter Oxford Dictionary die Linderung von Kummer oder psychischem Schmerz. Ich möchte zwei Arten von Trost unterscheiden.

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