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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Direkter physischer Trost. Wer einmal eine Nacht auf einem kahlen Berggipfel verbringen musste, findet sicher Trost bei einem großen, warmen Bernhardiner und – nicht zu vergessen – bei dem Schnapsfass, das er um den Hals trägt. Ein weinendes Kind fühlt sich getröstet, wenn ein Erwachsener es in seine starken Arme schließt und ihm beruhigende Worte ins Ohr flüstert.

    2 .         Trost durch die Entdeckung einer zuvor nicht wahrgenommenen Tatsache oder einer zuvor unbekannten Sichtweise für die vorhandenen Tatsachen. Eine Frau, deren Mann im Krieg umgekommen ist, fühlt sich unter Umständen getröstet, wenn sie bemerkt, dass sie von ihm schwanger ist oder dass er als Held gestorben ist. Trost finden wir auch, wenn es uns gelingt, auf neue Weise über eine Situation nachzudenken. Ein Philosoph hat einmal darauf hingewiesen, dass der Augenblick, in dem ein alter Mann stirbt, nichts Besonderes hat. Das Kind, das er einmal war, ist schon vor langer Zeit »gestorben«, und zwar nicht weil es plötzlich nicht mehr lebte, sondern weil es erwachsen geworden ist. Shakespeares sieben Alter eines Menschen »sterben« jeweils durch den allmählichen Übergang zum nächsten. So betrachtet, unterscheidet sich der Augenblick, in dem der alte Mann endgültig stirbt, nicht von den langsamen »Toden« während seines Lebens. 169
        Ein Mensch, der sich mit der Aussicht auf den eigenen Tod nicht anfreunden kann, findet eine derart veränderte Sichtweise unter Umständen tröstlich. Vielleicht auch nicht. Jedenfalls ist dies ein potenzielles Beispiel für den Trost durch Nachdenken. Mark Twain tat die Angst vor dem Tod auf andere Weise ab: »Ich fürchte den Tod nicht. Ich war Milliarden und Abermilliarden Jahre tot, bevor ich geboren wurde, und es hat mir nicht die geringsten Unannehmlichkeiten bereitet.« Solche geistreichen Formulierungen ändern nichts an der Tatsache, dass unser Tod unausweichlich ist. Aber sie bieten für diese Unausweichlichkeit eine andere Sichtweise, und die finden wir unter Umständen tröstlich. Auch Thomas Jefferson hatte keine Angst vor dem Tod und glaubte offensichtlich nicht an irgendein Jenseits. Christopher Hitchens berichtet in seiner Jefferson-Biografie: »Als seine Tage zur Neige gingen, schrieb Jefferson mehr als einmal an Freunde, er sehe dem bevorstehenden Ende weder mit Hoffnung noch mit Furcht entgegen. Das war das Gleiche, als hätte er unmissverständlich erklärt, dass er kein Christ war.«

    Eine robuste Psyche erträgt vielleicht auch den starken Tobak in Bertrand Russells Essay »What I Believe« (»Woran ich glaube«) aus dem Jahre 1925:

    Ich glaube, dass ich verwesen werde, wenn ich sterbe, und dass nichts von meinem Ego übrig bleibt. Ich bin nicht jung, und ich liebe das Leben. Aber ich würde es verachten, bei dem Gedanken an die Vernichtung vor Schrecken zu zittern. Das Glück ist wahr, auch dann, wenn es ein Ende finden muss, und auch das Denken und die Liebe verlieren nicht ihren Wert, weil sie nicht ewig währen. So mancher Mann hat auf dem Schafott eine stolze Haltung gezeigt, und der gleiche Stolz sollte uns lehren, über die Stellung des Menschen in der Welt die Wahrheit zu denken. Selbst wenn uns die offenen Fenster der Wissenschaft nach der gemütlichen Wärme der traditionellen, vermenschlichenden Mythen zunächst vor Kälte erschauern lassen, so macht uns die frische Luft am Ende stark, und die unermesslichen Weiten besitzen eine eigene Großartigkeit. 170
    Dieser Aufsatz von Russell war für mich eine große Anregung, als ich ihn mit 16 Jahren in meiner Schulbibliothek las, aber später hatte ich ihn vergessen. Möglicherweise zollte ich Russell unbewusst (und Darwin bewusst) Respekt, als ich 2003 in A Demi’s Chaplain schrieb:

    Es ist mehr als nur etwas Großartiges an dieser Sicht des Lebens, auch wenn sie manchmal düster und kalt zu sein scheint, solange man unter der Schmusedecke des Unwissens steckt. Man kann eine große Erfrischung daraus beziehen, wenn man aufsteht und das Gesicht direkt in den starken, schneidenden Wind des Verstehens hält: in Yeats’ »Wind, der zwischen den Sternen weht«.

    Wie schneiden zum Beispiel die Religion und ihre Fähigkeit, diese beiden Arten von Trost zu spenden, im Vergleich zur Naturwissenschaft ab? Betrachten wir zunächst den direkten Trost (Typ 1): Dass die starken Arme Gottes selbst dann, wenn man sie sich nur einbildet, genauso trösten können wie die realen Arme eines Freundes oder ein

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