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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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oder die Kunst der Wissenschaft , Unsinn zu entlarven) schrieb: »Es kommt mir pervers vor, die Wissenschaft nicht zu erklären. Wenn man verliebt ist, will man das der ganzen Welt mitteilen. Dieses Buch ist eine persönliche Erklärung, die meine lebenslange Liebe zur Wissenschaft widerspiegelt.« 174
    Die Evolution komplexer Lebensformen, ja schon ihre Existenz in einem Universum, das physikalischen Gesetzen gehorcht, ist eine wunderschöne Überraschung – oder sie wäre es, wenn man davon absieht, dass Überraschung ein Gefühl ist und deshalb nur in einem Gehirn entstehen kann, das ein Produkt eben dieses überraschenden Prozesses darstellt. In einem gewissen anthropischen Sinn sollte unser Dasein also keine Überraschung sein. Dennoch stelle ich mir gern vor, dass ich auch für meine Mitmenschen spreche, wenn ich darauf beharre, dass es etwas ausgesprochen Überraschendes ist.
    Denken wir einmal darüber nach. Auf einem Planeten – möglicherweise sogar nur einem einzigen im ganzen Universum – tun Moleküle, die normalerweise nichts Komplizierteres bilden als einen Felsbrocken, sich zu felsblockgroßen Materiestücken zusammen, die so unvorstellbar komplex sind, dass sie laufen, springen, schwimmen, fliegen, sehen und hören können und dass sie andere, ähnlich komplexe Gebilde fangen und fressen können – Materiestücke, die in manchen Fällen sogar fähig sind, zu denken, zu fühlen und sich in andere Brocken aus ebenso komplexer Materie zu verlieben. Im Wesentlichen wissen wir heute, wie dieses Kunststück zuwege gebracht wurde, aber das gilt erst seit 1859. Davor schien es wirklich sehr, sehr seltsam zu sein. Heute ist es dank Darwin nur noch sehr seltsam. Darwin packte den Sehschlitz der Burka, riss ihn auf und ließ das Licht der Erkenntnis hereinströmen, dessen Schwindel erregende Neuigkeit und Kraft, den menschlichen Geist zu beflügeln, nicht ihresgleichen hatten – außer vielleicht in Kopernikus’ Erkenntnis, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist.
    Ludwig Wittgenstein, einer der großen Philosophen des 20. Jahrhunderts, fragte einmal einen Bekannten: »Sagen Sie mir, warum die Leute immer behaupten, es sei für die Menschen eine ganz natürliche Annahme gewesen, dass die Sonne um die Erde kreist und die Erde selbst sich nicht dreht.« Darauf erwiderte der Bekannte: »Nun ja, es hat doch den Anschein, als würde die Sonne um die Erde kreisen.« Worauf Wittgenstein fragte: »Wie hätte es denn ausgesehen, wenn es den Anschein gehabt hätte, dass die Erde sich dreht?« Diese Bemerkung des großen Philosophen zitiere ich manchmal in Vorträgen, und dann rechne ich eigentlich damit, dass die Zuhörer lachen. Aber stattdessen verstummen sie offenbar vor Verblüffung.
    In der begrenzten Welt, in der sich die Evolution unseres Gehirns abgespielt hat, bewegen sich kleine Gegenstände häufiger als große, die eher als Hintergrund der Bewegung dienen. Wenn die Erde sich dreht, bewegen sich Gegenstände, die uns nahe sind und deshalb groß wirken – Berge, Bäume und Gebäude, aber auch der Boden selbst – genau im Einklang zueinander und zum Beobachter, aber anders als Himmelskörper wie Sonne und Sterne. Aufgrund seiner Evolution projiziert unser Gehirn die Bewegung auf die Himmelskörper und nicht auf die Berge und Bäume im Vordergrund.
    Ich möchte jetzt eine zuvor erwähnte Aussage weiter verfolgen: Dass wir die Welt so und nicht anders sehen, und dass manche Dinge für uns intuitiv leicht zu begreifen sind, andere dagegen nur schwer, liegt daran, dass auch unser Gehirn selbst durch Evolution entstanden ist: Es ist ein Bordcomputer, der sich entwickelt hat, um uns das Überleben in einer Welt – ich möchte sie als Mittelwelt bezeichnen – zu erleichtern, in der die Objekte, die für unser Überleben von Bedeutung waren, weder besonders groß noch besonders klein sind. Es war eine Welt, in der die Dinge entweder stillstanden oder sich im Vergleich zur Lichtgeschwindigkeit nur langsam bewegten, und in der man sehr unwahrscheinliche Dinge gefahrlos als unmöglich betrachten konnte. Der geistige Sehschlitz unserer Burka ist schmal,
weil er nicht breit sein musste , um unseren Vorfahren das Überleben zu erleichtern.
    Die Naturwissenschaft indes hat uns entgegen unserer evolutionsbedingten Intuition gelehrt, dass scheinbar feste Gegenstände wie Kristalle oder Felsen in Wirklichkeit fast vollständig aus leerem Raum bestehen. Die übliche Illustration zeigt den Kern eines Atoms

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