Der Gotteswahn
wie eine Fliege in der Mitte eines Sportstadions. Das Nachbaratom befindet sich bereits außerhalb des Stadions. Demnach ist das härteste, festeste, dichteste Gestein »in Wirklichkeit« nahezu ausschließlich leerer Raum, unterbrochen nur von winzigen Teilchen, die so weit voneinander entfernt sind, dass sie eigentlich gar nicht zählen. Warum sehen Felsen dennoch fest, hart und undurchdringlich aus und fühlen sich auch so an?
Ich versuche gar nicht erst, mir vorzustellen, wie Wittgenstein diese Frage beantwortet hätte. Aber als Evolutionsbiologe habe ich darauf folgende Antwort: Unser Gehirn hat sich in der Evolution so entwickelt, dass es unserem Körper hilft, sich in seiner Umwelt zurechtzufinden, und zwar in dem Größenmaßstab, in dem dieser Körper funktioniert. Die Evolution hat uns nie darauf vorbereitet, uns in der Welt der Atome zu orientieren. Wäre das der Fall, dann würde unser Gehirn einen Felsen wahrscheinlich tatsächlich als Ansammlung leerer Räume wahrnehmen. Gestein fühlt sich für unsere Hände hart und undurchdringlich an, weil unsere Hände es nicht durchdringen können. Dass das so ist, hat aber nichts mit den Größen und Zwischenräumen der Teilchen zu tun, aus denen die Materie besteht, sondern mit den Kraftfeldern, die sich mit diesen weit voneinander entfernten Teilchen in »fester« Materie verbinden. Für unser Gehirn ist es nützlich, Vorstellungen wie Festigkeit und Undurchdringlichkeit zu konstruieren , weil sie uns helfen, unseren Körper durch eine Welt zu steuern, in der ein Gegenstand – den wir als fest bezeichnen – nicht den gleichen Raum einnehmen kann wie ein anderer.
An dieser Stelle kann vielleicht ein wenig heitere Auflockerung nicht schaden. In The Men Who Stare at Goats (»Die Männer, die Ziegen anstarren«) von Jon Ronson heißt es:
Dies ist eine wahre Geschichte. Wir schreiben den Sommer 1983. Generalmajor Albert Stubblebine III sitzt in Arlington (Virginia) hinter seinem Schreibtisch und starrt auf die Wand, an der seine vielen militärischen Auszeichnungen hängen. Sie erzählen von einer langen, erfolgreichen Karriere. Er ist Geheimdienstchef der US Army, unter seinem Kommando stehen sechzehntausend Soldaten. […] Er blickt an seinen Auszeichnungen vorbei auf die eigentliche Wand. Er hat das Gefühl, dass er etwas tun muss, obwohl schon der Gedanke daran ihm Angst macht. Er denkt daran, welche Entscheidung er treffen muss. Er kann in seinem Büro bleiben oder ins Nachbarbüro gehen. Das ist seine Entscheidung. Und er hat sie getroffen. Er wird ins Nachbarbüro gehen … Er steht auf, tritt hinter seinem Schreibtisch hervor und geht los. Ich meine, er denkt, woraus besteht das Atom überhaupt zum größten Teil? Aus leerem Raum. Er beschleunigt seine Schritte. Woraus bestehe ich zum größten Teil? Denkt er. Aus Atomen! Er läuft jetzt fast. Woraus besteht die Wand zum größten Teil? Denkt er. Aus Atomen! Ich muss nur die leeren Räume verbinden … Dann haut General Stubblebine mit der Nase heftig gegen die Wand. Verdammt, denkt er. General Stubblebine ist vor den Kopf gestoßen, weil es ihm nicht gelingt, durch die Wand zu gehen. Was stimmt nicht mit ihm, warum kann er es nicht? Vielleicht liegt einfach so viel in seinem Eingangskorb, dass er sich nicht ausreichend darauf konzentrieren kann. In seinem Kopf besteht kein Zweifel, dass die Fähigkeit, durch Gegenstände hindurchzugehen, eines Tages im Arsenal der Geheimdienste ein allgemein verbreitetes Hilfsmittel sein wird. Und wenn es so weit ist – nun, wäre es eine zu naive Annahme, dass dann eine Welt ohne Kriege heraufdämmern würde? Wer wollte sich schon mit einer Armee herumschlagen, die so etwas kann?
Auf der Website des Unternehmens, das General Stubblebine jetzt im Ruhestand zusammen mit seiner Frau betreibt, wird er zutreffend als »Denker aus der Kiste« bezeichnet.*
Da [64] unsere Evolution in der Mittelwelt stattgefunden hat, fällt es uns intuitiv leicht, Gedanken wie den folgenden zu begreifen: »Wenn ein Generalmajor sich mit der mittleren Geschwindigkeit bewegt, mit der Generalmajore und andere Objekte der Mittelwelt sich zu bewegen pflegen, und wenn er dann auf ein anderes Mittelweltobjekt wie beispielsweise eine Wand trifft, wird sein weiteres Vorwärtskommen auf schmerzhafte Weise verhindert.« Unser Gehirn ist nicht dazu ausgerüstet, sich vorzustellen, es würde wie ein Neutrino eine Wand durchdringen und dazu die riesigen Zwischenräume nutzen, aus denen die Wand »in
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