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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Ereignis stattfand. […] Die Materie fliegt von Ort zu Ort und findet sich vorübergehend zusammen – das sind dann Sie. Was Sie also auch sind, Sie sind nicht die Materie, aus der Sie bestehen. Wenn Ihnen das nicht die Haare zu Berge stehen lässt, dann lesen Sie den Passus noch einmal, so lange, bis die Haare zu Berge stehen, denn es ist wichtig. [65]

    Das Wort »wirklich« sollten wir nicht mit einfachem Selbstvertrauen benutzen. Wenn ein Neutrino ein Gehirn hätte, dessen Evolution sich unter Vorfahren von Neutrinogröße abgespielt hätte, würde es sagen, dass Felsen »wirklich« vorwiegend aus leerem Raum bestehen. Unser Gehirn hat sich bei mittelgroßen Vorfahren entwickelt, und die konnten nicht durch Felsen gehen; also sind Felsen für uns »wirklich« fest. »Wirklich« ist für ein Tier immer das, was den Bedürfnissen seines Gehirns entspricht, damit sein Überleben begünstigt wird. Und da verschiedene biologische Arten in unterschiedlichen Welten leben, gibt es eine verwirrende Vielfalt von »Wirklichkeiten«.
    Was wir von der wirklichen Welt sehen, ist nicht die ungeschminkte Realität, sondern ein Modell der Wirklichkeit, das durch die Sinneswahrnehmung gesteuert und abgestimmt wird – und dieses Modell wird so konstruiert, dass es für den Umgang mit der Wirklichkeit nützlich ist. Wie dieses Modell aussieht, hängt davon ab, was für Tiere wir sind. Ein Flugtier braucht ein anderes Modell der Welt als ein Tier, das geht, klettert oder schwimmt. Raubtiere brauchen ein anderes Modell als Beutetiere, auch wenn die Welten beider sich zwangsläufig überschneiden. Das Affengehirn muss in der Lage sein, mit seiner Software ein dreidimensionales Labyrinth aus Ästen und Baumstämmen zu simulieren. Dagegen braucht das Gehirn einer Ruderwanze keine 3D-Software, denn diese Tiere leben auf der Oberfläche von Teichen wie in einer Flachwelt à la Edwin Abbott. [66] Bei einem Maulwurf ist die Software für die Konstruktion von Weltmodellen auf die Verwendung unter der Erde abgestimmt. Ein Nacktmull hat vermutlich eine ähnliche Weltabbildungssoftware wie ein Maulwurf; das Eichhörnchen dagegen, obwohl wie der Nacktmull ein Nagetier, verfügt wahrscheinlich für die Abbildung der Welt eher über eine ähnliche Software wie ein Affe.
    In The Blind Watchmaker (Der blinde Uhrmacher) und auch an anderen Stellen habe ich Spekulationen darüber angestellt, ob Fledermäuse vielleicht mit den Ohren Farben »sehen«. Eine Fledermaus, die sich in drei Dimensionen orientieren und Insekten fangen muss, braucht sicher ein ganz ähnliches Modell der Welt wie eine Schwalbe, die im Wesentlichen die gleiche Tätigkeit ausführt. Dass die Fledermaus die Variablen in ihrem Modell mithilfe von Echos aktualisiert, während die Schwalbe zu diesem Zweck das Licht benutzt, ist nebensächlich. Nach meiner Vermutung dienen wahrgenommene Farbtöne wie »rot« oder »blau« den Fledermäusen als innere Markierungen für irgendeinen nützlichen Aspekt der Schallreflexe, vielleicht für die akustische Beschaffenheit von Oberflächen; genauso nutzen Schwalben die gleichen wahrgenommenen Farbtöne zur Markierung verschiedener Lichtwellenlängen. Entscheidend ist dabei, dass das Wesen des Modells davon abhängt, wie es genutzt wird, und nicht von der Art der Sinneseindrücke. Was wir also von den Fledermäusen lernen können: Die allgemeine Form des geistigen Modells – im Gegensatz zu den Variablen, die durch die Sinnesnerven ständig neuen Input erhalten – ist genau wie Flügel, Beine und Schwanz eine Anpassung an die Lebensweise eines Tiers.
    J.B.S. Haldane hatte in seinem zuvor bereits erwähnten Aufsatz über »mögliche Welten« etwas Wichtiges über Tiere zu sagen, deren Welt von Gerüchen beherrscht wird. Er wies darauf hin, dass Hunde zwischen Caprylsäure und Capronsäure, zwei sehr ähnlichen flüchtigen Fettsäuren, unterscheiden können, und zwar auch dann, wenn diese eins zu einer Million verdünnt sind. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Verbindungen besteht darin, dass die Hauptmolekülkette der Caprylsäure um zwei Kohlenstoffatome länger ist als die der Capronsäure. Ein Hund, so Haldanes Vermutung, kann die Säuren wahrscheinlich »anhand des Geruchs in der Reihenfolge ihrer Molekulargewichte anordnen, genau wie ein Mensch, der Klaviersaiten mithilfe der Töne nach aufsteigender Länge ordnet«.
    Eine dritte Fettsäure, die Caprinsäure, gleicht den beiden anderen, nur ist ihre Kohlenstoffkette nochmals um

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