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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Stecknadel). Außerhalb dieses Bereichs ist sogar unsere Fantasie mangelhaft: Wir müssen Instrumente oder die Mathematik zu Hilfe nehmen, deren Anwendung wir glücklicherweise erlernen können. Der Bereich von Größen, Entfernungen und Geschwindigkeiten, mit denen unsere Fantasie gut zurechtkommt, ist nur ein winziger Ausschnitt inmitten eines gewaltigen Spektrums der Möglichkeiten, von den quantenmechanischen Seltsamkeiten am unteren Ende bis zur Einstein’schen Kosmologie am oberen.
    Für den Umgang mit Entfernungen außerhalb jenes mittleren Bereichs, mit dem unsere Vorfahren vertraut waren, ist unsere Fantasie erbärmlich schlecht gerüstet. Wir stellen uns das Elektron als winzige Kugel vor, die um einen Klumpen aus größeren Kugeln kreist, den Protonen und Neutronen. In Wirklichkeit sieht das Ganze überhaupt nicht so aus. Elektronen sind keine kleinen Kugeln. Sie gleichen keinem Gegenstand, den wir kennen. Es ist nicht einmal klar, ob das Wort »gleichen« überhaupt noch etwas bedeutet, wenn wir den Horizonten der Realität näher kommen. Unsere Fantasie verfügt bisher nicht über das Rüstzeug, um in die Nähe der Quanten vorzudringen. In ihren Größenbereichen verhält nichts sich so, wie unsere in der Evolution entstandene Denkweise es von Materie erwartet. Ebenso wenig kommen wir mit dem Verhalten von Objekten zurecht, die sich mit einem nennenswerten Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit bewegen. Hier lässt uns der gesunde Menschenverstand im Stich, denn die Evolution des gesunden Menschenverstandes hat sich in einer Welt abgespielt, in der nichts sich besonders schnell bewegt und in der nichts besonders groß oder klein ist.
    Der große Biologe J.B.S. Haldane schrieb am Ende seines Aufsatzes über »Possible Worlds« (»Mögliche Welten«): »Ich selbst habe nun den Verdacht, dass das Universum nicht nur seltsamer ist, als wir annehmen, sondern seltsamer, als wir überhaupt annehmen können. […] Ich vermute, dass es mehr Dinge im Himmel und auf Erden gibt, als sich irgendeine Schulweisheit erträumt oder überhaupt erträumen kann.« Übrigens fasziniert mich die Beobachtung, dass der berühmte Hamlet-Ausspruch, auf den Haldane hier anspielt, in der Regel falsch ausgesprochen wird. Die Betonung muss nämlich auf »Eure« liegen:

    Es gibt mehr Ding im Himmel und auf Erden,
    Als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio.

    Tatsächlich werden diese Zeilen häufig so zitiert, als stehe Horatio stellvertretend für alle dümmlichen Rationalisten und Skeptiker. Manche Fachleute indes legen das Schwergewicht auf die »Schulweisheit«, während das »Eure« fast verschwindet: »… als Eure Schulweisheit sich träumt«. In meinem Zusammenhang spielt der Unterschied keine große Rolle, nur berücksichtigt die zweite Interpretation bereits Haldanes » irgendeine Schulweisheit«.
    Douglas Adams, der Widmungsträger dieses Buches, verdiente sich seinen Lebensunterhalt damit, dass er die Seltsamkeiten der Naturwissenschaft ins Komische zog. Der folgende Absatz stammt aus demselben improvisierten, 1998 in Cambridge gehaltenen Vortrag, aus dem ich bereits im ersten Kapitel zitiert habe:

    Die Tatsache, dass wir am Boden eines Gravitationsschachts, auf der Oberfläche eines von einer Gashülle umgebenen Planeten leben, der sich um einen 90 Millionen Meilen entfernten atomaren Feuerball dreht, und das für normal halten, deutet zweifellos darauf hin, wie schräg unsere Perspektive manchmal ist. 172

    Während andere Science-Fiction-Autoren mit den Seltsamkeiten der Wissenschaft spielen, um unser Gefühl für das Geheimnisvolle anzusprechen, nutzt Douglas Adams sie, um uns zum Lachen zu bringen (wer Per Anhalter durch die Galaxis gelesen hat, denkt vielleicht an den »unendlichen Unwahrscheinlichkeitsantrieb«). Lachen, das kann man durchaus behaupten, ist gelegentlich die beste Antwort auf einige besonders seltsame Paradoxa der modernen Physik. Die Alternative, so denke ich manchmal, bestünde darin, zu weinen.
    Die Quantenmechanik, jener verfeinerte Gipfel der wissenschaftlichen Errungenschaften aus dem 20. Jahrhundert, macht ausgezeichnete, zutreffende Voraussagen über die Wirklichkeit. Richard Feynman verglich ihre Genauigkeit mit der Präzision, die im Spiel wäre, wenn man die Breite Nordamerikas bis auf die Dicke eines menschlichen Haares genau voraussagen könnte. Dieser Erfolg bei den Voraussagen bedeutet offenbar, dass die Quantentheorie in irgendeinem Sinn wahr sein muss – so wahr, wie wir es

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