Der Gotteswahn
Die Evolution des Lebendigen ist etwas ganz anderes als seine Entstehung, denn – ich wiederhole es noch einmal – der Ursprung des Lebens war ein einzigartiges, einmaliges Ereignis (oder hätte es sein können). Die Anpassung einer Art an ihre Umgebung jedoch findet millionenfach statt und setzt sich ständig fort.
Es ist klar, dass wir es hier auf der Erde mit einem allgemeinen Prozess zur Optimierung biologischer Arten zu tun haben, der überall auf unserem Planten, auf allen Kontinenten und Inseln ständig abläuft. Eines können wir mit Sicherheit voraussagen: Wenn wir noch einmal zehn Millionen Jahre abwarten, wird ein ganz neues Spektrum biologischer Arten an die herrschenden Lebensbedingungen ebenso gut angepasst sein wie die heutigen Arten an ihre. Das ist kein statistischer Glücksfall, den man erst im Nachhinein erkennt, sondern ein immer wiederkehrendes, vorhersagbares, vielfach ablaufendes Phänomen. Und dank Darwin wissen wir, wie es zustande kommt: durch natürliche Selektion.
Mit dem anthropischen Prinzip lassen sich die vielgestaltigen Details der Lebewesen dagegen nicht erklären. Um eine Begründung für die Vielfalt des Lebens auf der Erde und insbesondere für die umfassende Illusion gezielter Gestaltung zu finden, brauchen wir Darwins leistungsfähigen »Kran«. Die Entstehung des Lebens dagegen liegt außerhalb der Reichweite dieses Krans, denn ohne sie kann die natürliche Selektion nicht einsetzen. Nur an dieser Stelle kommt das anthropische Prinzip ins Spiel. Die einmalige Entstehung des Lebens können wir erklären, indem wir eine sehr große Zahl von Gelegenheiten auf den Planeten postulieren. Nachdem sich der erste Glücksfall einmal ergeben hatte – und nach dem anthropischen Prinzip hatte er sich bei uns ergeben –, übernahm die natürliche Selektion das Ruder. Und natürliche Selektion ist nun ausdrücklich keine Frage von Glück oder Zufall.
Allerdings wäre es denkbar, dass der Ursprung des Lebens in der Evolutionsgeschichte nicht die einzige große Lücke ist, die durch reines Glück überbrückt und dann anthropisch gerechtfertigt wurde. Mein Kollege Mark Ridley äußerte beispielsweise in seinem Buch Mendel’s Demon (»Mendels Dämon«, das vom amerikanischen Verlag völlig grundlos und zur allgemeinen Verwirrung den neuen Titel The Cooperative Gene erhielt) die Vermutung, die Entstehung der Eukaryontenzellen (das heißt der Zellen, aus denen auch wir Menschen bestehen, mit Zellkern, Mitochondrien und verschiedenen anderen komplizierten Einzelteilen, die bei Bakterien nicht vorhanden sind) sei ein sogar noch folgenschwereres, schwierigeres und statistisch unwahrscheinlicheres Ereignis gewesen als die Entstehung des Lebens selbst.
Ein weiterer wichtiger Sprung, der möglicherweise ähnlich unwahrscheinlich war, könnte die Entstehung des Bewusstseins gewesen sein. Alles-oder-Nichts-Ereignisse wie diese lassen sich möglicherweise mit dem anthropischen Prinzip erklären, und zwar nach folgenden Grundsätzen: Es mag Milliarden Planeten geben, auf denen sich Leben auf dem Niveau von Bakterien entwickelte, aber nur ein winziger Bruchteil dieser Lebensformen schaffte jemals den Sprung zu einem Gebilde wie der Eukaryontenzelle. Und von diesen wiederum überschritt ein noch kleinerer Anteil den Rubikon zum Bewusstsein. Wenn es sich in diesen beiden Fällen um Alles-oder-Nichts-Ereignisse handelt, haben wir es hier, anders als bei der normalen, alltäglichen biologischen Anpassung nicht mit einem allgegenwärtigen, umfassenden Prozess zu tun. Die Aussage des anthropischen Prinzips lautet: Da wir lebendige Eukaryonten sind und ein Bewusstsein haben, muss unser Planet zu den wenigen gehören, auf denen alle drei Lücken überbrückt wurden.
Die natürliche Selektion funktioniert, weil sie eine additive Einbahnstraße in Richtung der Verbesserung ist. Nur damit sie in Gang kommt, ist ein Glücksfall nötig, und dieses Glück wird durch das anthropische Prinzip der »Milliarden Planeten« garantiert. Vielleicht war das Glück auch bei einigen späteren Evolutionslücken von Bedeutung, und auch hier lässt es sich anthropisch rechtfertigen. Aber was wir auch sonst vielleicht sagen, Gestaltung funktioniert als Erklärung für das Lebendige sicher nicht, denn Gestaltung ist letztlich nicht additiv, und deshalb wirft sie mehr Fragen auf, als sie beantwortet – sie bringt uns geradewegs zurück zur unendlichen Regression (siehe den Abschnitt über die Boeing 747).
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