Der Gotteswahn
dann allerdings entgeht, ist, dass für dieses Problem zwei Lösungsvorschläge angeboten werden. Der eine ist Gott, der andere das anthropische Prinzip. Es handelt sich um Alternativvorschläge.
Flüssiges Wasser ist eine Vorbedingung für Leben, wie wir es kennen, aber es reicht allein bei Weitem nicht aus. Im Wasser muss das Leben erst einmal entstehen, und dies dürfte ein sehr unwahrscheinlicher Vorgang gewesen sein. Nachdem das Leben einmal da war, konnte die Darwinsche Evolution fröhlich voranschreiten. Aber wie fing das Leben an? Die Entstehung des Lebens war jenes chemische Ereignis oder jene Kette von Ereignissen, durch die sich zum ersten Mal die unentbehrlichen Voraussetzungen für die natürliche Selektion ergaben. Der wichtigste Bestandteil war dabei die Vererbung, entweder durch DNA oder (wahrscheinlicher) durch etwas, das wie DNA – allerdings mit geringerer Genauigkeit – kopiert wurde, beispielsweise die mit ihr verwandte Verbindung RNA. Erst nachdem die entscheidende Zutat – irgendeine Art von Erbmolekülen – vorhanden war, konnte die echte darwinistische Selektion einsetzen, und daraus entwickelten sich schließlich die komplexen Lebensformen. Aber die spontane, zufällige Entstehung des ersten Erbmoleküls erscheint vielfach als höchst unwahrscheinlich. Vielleicht ist sie tatsächlich sehr, sehr unwahrscheinlich; damit möchte ich mich ausführlicher befassen, denn es ist für diesen Abschnitt des Buches von zentraler Bedeutung.
Die Entstehung des Lebens ist Gegenstand eines lebendigen, allerdings auch spekulativen Forschungsgebietes. Man braucht dafür Fachkenntnisse in Chemie, und die ist nicht mein Gebiet. Ich bin hier nur ein Zaungast voll engagierter Neugier, und es würde mich nicht wundern, wenn Chemiker irgendwann in den kommenden Jahren berichten würden, dass es ihnen gelungen ist, neues Leben im Labor entstehen zu lassen. Bisher ist das allerdings noch nicht geschehen, sodass man nach wie vor behaupten kann, die Wahrscheinlichkeit, dass es geschieht, sei äußerst gering und sei es auch immer gewesen – obwohl es ja tatsächlich einmal geschehen ist!
Hier können wir genauso argumentieren wie bei den Goldilocks-Umlaufbahnen: So unwahrscheinlich die Entstehung des Lebens gewesen sein mag, wir wissen, dass sie sich auf der Erde ereignet hat, denn wir sind hier! Wie bei der Temperatur, so kann man dafür auch hier zwei Erklärungen geben: eine Gestaltungshypothese und eine wissenschaftliche oder »anthropische« Hypothese. Die Gestaltungshypothese postuliert einen Gott, der absichtlich ein Wunder vollbrachte, die Ursuppe mit göttlichem Feuer anreicherte und die DNA oder etwas Entsprechendes auf ihre folgenschwere Laufbahn schickte.
Die Alternative ist wie beim Goldilocks-Gürtel statistischer Natur. Wissenschaftler berufen sich auf die Magie der großen Zahlen. In unserer Galaxis gibt es nach Schätzungen zwischen einer Milliarde und 30 Milliarden Planeten, und das Universum enthält 100 Milliarden Galaxien. Streichen wir aus Gründen der ganz normalen Vorsicht ein paar Nullen weg, so gelangen wir für die Zahl der Planeten, die im Universum zur Verfügung stehen, zu einer vorsichtigen Schätzung von einer Milliarde Milliarden. Nehmen wir nun an, die Entstehung des Lebens, das heißt die spontane Entstehung einer Entsprechung zur DNA, sei wirklich ein unglaublich unwahrscheinliches Ereignis. Angenommen, es ist so unwahrscheinlich, dass es sich nur auf einem unter einer Milliarde Planeten ereignet. Eine Forschungsförderungsorganisation würde jeden Chemiker auslachen, der in seinem Finanzierungsantrag einräumt, sein Forschungsvorhaben habe nur eine Erfolgsaussicht von eins zu hundert. Und hier reden wir über eine Chance von eins zu einer Milliarde. Und doch, selbst bei einer derart absurd geringen Wahrscheinlichkeit wäre immer noch auf einer Milliarde Planeten Leben entstanden – und einer davon ist natürlich die Erde. 73
Das ist eine derart überraschende Schlussfolgerung, dass ich sie noch einmal wiederholen will. Wenn die Wahrscheinlichkeit, dass auf einem Planeten spontan Leben entsteht, bei eins zu einer Milliarde liegt, findet dieses unglaublich unwahrscheinliche Ereignis dennoch auf einer Milliarde Planeten statt. Die Chance, einen dieser Milliarde von lebentragenden Planeten zu finden, erinnert an die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen. Dennoch brauchen wir nicht lange nach einer solchen Nadel zu suchen, denn wegen des anthropischen Prinzips müssen alle
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