Der Gotteswahn
Wesen, die sich überhaupt auf die Suche begeben können, zwangsläufig schon auf einer dieser ungeheuer seltenen Nadeln sitzen, bevor sie überhaupt zu suchen beginnen.
Jede Aussage über Wahrscheinlichkeiten steht im Kontext eines gewissen Ausmaßes an Unwissenheit. Wenn wir nichts über einen Planeten wissen, können wir für ihn beispielsweise eine Wahrscheinlichkeit von eins zu einer Milliarde für die Entstehung von Leben postulieren. Führen wir in die Schätzung aber weitere Annahmen ein, so ändert sich alles. Ein bestimmter Planet kann besondere Eigenschaften haben, beispielsweise eine bestimmte Häufigkeitsverteilung der chemischen Elemente in seinem Gestein; dann verschiebt sich die Wahrscheinlichkeit zugunsten der Entstehung von Leben. Mit anderen Worten: Manche Planeten sind »erdähnlicher« als andere. Und am erdähnlichsten ist natürlich die Erde selbst! Das sollte für unsere Chemiker, die das Ereignis im Labor nachvollziehen wollen, eine Ermutigung sein, denn damit verringert sich die Chance auf einen Misserfolg.
Doch wie ich zuvor mit meiner Berechnung gezeigt habe, würde selbst ein Modell, das nur eine Erfolgswahrscheinlichkeit von eins zu einer Milliarde unterstellt, dennoch die Entstehung von Leben auf einer Milliarde Planeten im Universum voraussagen. Und das Schöne am anthropischen Prinzip ist, dass es uns gegen jede Intuition sagt: Ein chemisches Modell muss nur für einen unter einer Milliarde Milliarden Planeten die Entstehung von Leben voraussagen, und doch haben wir eine gute, völlig zufriedenstellende Erklärung dafür, dass es bei uns Leben gibt.
In Wirklichkeit glaube ich keinen Augenblick lang, dass die Entstehung des Lebens auch nur annähernd so unwahrscheinlich war. Nach meiner Überzeugung lohnt es sich auf jeden Fall Geld aufzuwenden, um den Vorgang im Labor nachzuvollziehen, und aus den gleichen Gründen ist es auch richtig, das SETI-Projekt zur Suche nach außerirdischer Intelligenz zu finanzieren; ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass es auch anderswo intelligentes Leben gibt.
Selbst wenn man die Wahrscheinlichkeit, dass Leben spontan entsteht, sehr pessimistisch einschätzt, ist diese statistische Argumentation der Todesstoß für jeden Gedanken, man müsse gezielte Gestaltung, »Intelligent Design«, postulieren, um die Lücke zu füllen. Wie alle scheinbaren Lücken im Evolutionsverlauf erscheint auch diese nur dann als unüberbrückbar, wenn unser Denken darauf geeicht ist, Wahrscheinlichkeiten und Risiken allein nach unseren Alltagsmaßstäben abzuschätzen, etwa nach den Maßstäben, die Forschungsförderungsorganisationen an die Finanzierungsanträge von Chemikern anlegen. Indes, selbst eine derart große Lücke lässt sich mit statistisch untermauerter Wissenschaft ohne weiteres füllen. Dagegen schließt die Statistik einen göttlichen Schöpfer nach der bereits im Abschnitt über die Boeing 747 beschriebenen Gesetzmäßigkeit definitiv aus.
Aber kehren wir nun zu der interessanten Frage zurück, die den Ausgangspunkt dieses Abschnitts bildet. Angenommen, jemand wollte das allgemeine Phänomen der biologischen Anpassung nach den gleichen Prinzipien erklären, die wir gerade auf die Entstehung des Lebens angewandt haben, und beriefe sich dabei auf eine ungeheuer große Zahl verfügbarer Planeten. Die beobachtete Tatsache lautet: Alle biologischen Arten und alle Organe, die man jemals bei irgendeiner Art untersucht hat, erfüllen ihre Aufgaben gut. Die Flügel von Vögeln, Bienen und Fledermäusen eignen sich gut zum Fliegen. Mit Augen kann man gut sehen. Blätter können gut Photosynthese betreiben. Wir sind auf unserem Planeten von vielleicht zehn Millionen Arten umgeben, und jede davon lässt unabhängig von den anderen eine eindringliche Illusion gezielter Gestaltung entstehen. Jede Spezies eignet sich gut für ihre jeweilige Lebensweise. Können wir auch diese einzelnen Illusionen einer gezielten Gestaltung mit dem Argument der »Riesenzahl von Planeten« erklären? Nein, das können wir nicht. Ich wiederhole: Wir können es nicht. Und wir sollten nicht einmal auf die Idee kommen. Das ist wichtig, denn es zielt auf den Kern des schlimmsten Missverständnisses im Zusammenhang mit dem Darwinismus.
Ganz gleich, mit wie vielen Planeten wir jonglieren, die Wahrscheinlichkeit könnte nie so groß sein, dass wir damit die üppige Vielfalt und Komplexität des Lebens auf der Erde genauso erklären könnten wie die Tatsache, dass überhaupt Leben existiert.
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