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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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bestraft, zum Teil auch nach unserem Tod.
    •   Die jungfräuliche Mutter des vaterlosen Mannes ist nicht gestorben, sondern wurde körperlich in den Himmel »aufgenommen«.
    •   Wenn Brot und Wein von einem Priester (der aber Hoden haben muss) gesegnet werden, »verwandeln« sie sich in Fleisch und Blut des vaterlosen Mannes.

    Was würde wohl ein unvoreingenommener Anthropologe, der noch nie etwas von diesen Überzeugungen gehört hätte und zur Feldforschung nach Cambridge käme, davon halten?

Psychologisch für Religion disponiert

    Die Idee von den psychologischen Nebenprodukten ergibt sich ganz natürlich aus dem wichtigen, in schneller Entwicklung befindlichen Wissenschaftsgebiet der Evolutionspsychologie. 88 Ihre Grundaussage lautet: Genau wie das Auge, das sich in der Evolution zu einem Sehorgan entwickelt hat, und der Flügel, dessen Evolution zur Flugfähigkeit führte, so ist auch das Gehirn eine Ansammlung von Organen (oder »Modulen«) zur Ausführung spezialisierter Datenverarbeitungsaufgaben. Ein Modul regelt den Umgang mit Verwandten, ein anderes den zwischenmenschlichen Austausch, ein drittes das Einfühlungsvermögen, und so weiter. Religion entsteht nach dieser Vorstellung durch Fehlfunktionen einzelner Module, beispielsweise jener, die Theorien über den Geist anderer Menschen aufstellen, Koalitionen bilden oder zugunsten der eigenen Gruppenangehörigen gegen Fremde entscheiden. Jedes derartige Modul könnte beim Menschen die Entsprechung zur Orientierung der Motten an den Himmelskörpern sein und wäre demnach für Fehlfunktionen ebenso anfällig, wie ich es für die kindliche Leichtgläubigkeit beschrieben habe. Der an der Yale University lehrende Psychologe Paul Bloom, auch er ein Vertreter der Vorstellung von »Religion als Nebenprodukt«, weist auf die natürliche Neigung der Kinder zu einer dualistischen Theorie des Geistes hin. 89 Religion ist in seinen Augen ein Nebenprodukt eines solchen instinktiven Dualismus. Wir Menschen und insbesondere die Kinder sind nach dieser Vorstellung von Natur aus geborene Dualisten.
    Der Dualist geht davon aus, dass zwischen Materie und Geist ein grundlegender Unterschied besteht. Ein Monist dagegen glaubt, dass Geist eine Ausdrucksform der Materie ist, Material in einem Gehirn oder einem Computer, das ohne Materie nicht existieren kann. Der Dualist hält den Geist oder die Seele für eine Art körperloses Gebilde, das den Körper bewohnt ; deshalb kann er sich auch vorstellen, dass dieses Gebilde den Körper verlässt und dann irgendwo anders existiert. Dualisten interpretieren geistige Krankheiten bereitwillig als »Teufelsbesessenheit« – die Teufel sind dann Geister, die sich des Körpers vorübergehend bemächtigt haben und »ausgetrieben« werden können. Ebenso personifizieren Dualisten bei der kleinsten Gelegenheit unbelebte Gegenstände und sehen sogar in Wasserfällen oder Wolken Geister und Dämonen.
    Der 1882 erschienene Roman Vice Versa von F. Anstey [31] erscheint einem Dualisten durchaus sinnvoll, sollte aber für einen eingefleischten Monisten wie mich eigentlich unverständlich sein. Mr. Bultitude und sein Sohn finden auf rätselhafte Weise heraus, dass sie ihre Körper getauscht haben. Der Vater ist zum Vergnügen seines Sohnes gezwungen, in dessen Körper zur Schule zu gehen. Gleichzeitig treibt der Sohn im Körper seines Vaters dessen Geschäft durch seine unüberlegten Entscheidungen fast in den Ruin. Eine ähnliche Handlung erdachte auch R G. Wodehouse in Laughing Gas (Was macht der Lord in Hollywood?). Darin werden der Earl von Havershot und ein Kinderfilmstar zur gleichen Zeit in den nebeneinander stehenden Stühlen eines Zahnarztes in Narkose versetzt und wachen jeweils im anderen Körper wieder auf. Auch diese Geschichte erscheint nur einem Dualisten sinnvoll. In Lord Havershot muss irgendetwas sein, das nicht zu seinem Körper gehört. Wie könnte er sonst im Körper eines Kinderstars wieder aufwachen?
    Ich bin wie die meisten Naturwissenschaftler kein Dualist, aber ich habe dennoch ohne weiteres Spaß an Vice Versa oder Was macht der Lord in Hollywood? Warum? Paul Bloom würde sagen: Weil ich mit meiner Vernunft gelernt habe, Monist zu sein, während ich gleichzeitig als Mensch auch ein Tier bin, bei dem sich in der Evolution dualistische Instinkte entwickelt haben. Der Gedanke, dass hinter meinen Augen ein Ich steckt, das zumindest im Roman in einen anderen Kopf wandern kann, ist in mir und jedem anderen Menschen tief

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