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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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einem gemeinsamen Ausgangspunkt und einer deutlichen späteren Auseinanderentwicklung zeigt. Sprachen, die einen gemeinsamen Vorfahren haben, entwickeln sich bei einer ausreichend langfristigen geografischen Trennung auseinander (auf diesen Punkt werde ich in Kürze zurückkommen). Das Gleiche gilt offenbar auch für unbegründete, willkürliche Überzeugungen und Vorschriften, die von Generation zu Generation weitergegeben werden – Überzeugungen, die vielleicht durch die nützliche Programmierbarkeit des Kindergehirns begünstigt wurden.
    Religionsführer wissen genau, wie anfällig Kindergehirne sind und wie wichtig es ist, dass die Indoktrination frühzeitig stattfindet. Die Prahlerei der Jesuiten »Gib mir das Kind während seiner ersten sieben Jahre, dann gebe ich dir den Mann zurück« ist zwar abgedroschen, aber deshalb nicht weniger wahr (und bedrohlich). In jüngerer Zeit ist James Dobson, der Gründer der berüchtigten Bewegung »Focus on Family«, [30] mit dem Prinzip genauso vertraut: »Wer darüber bestimmt, was junge Menschen lernen und erleben – was sie sehen, denken und glauben –,
der bestimmt die Zukunft der Nation.« 86
    Aber wie gesagt, meine Vermutung über die nützliche Leichtgläubigkeit des kindlichen Geistes ist nur ein Beispiel dafür, wo Entsprechungen zur Orientierung der Motte an den Sternen zu suchen wären. Unabhängig davon vertreten der Verhaltensforscher Robert Hinde in Why Gods Persist (»Warum die Götter so hartnäckig sind«) sowie die Anthropologen Pascal Boyer in Religion Explained (Und Mensch schuf Gott) und Scott Atran in In Gods We Trust (»Wir vertrauen auf Götter«) allgemein den Gedanken, Religion sei ein Nebenprodukt normaler psychologischer Neigungen – ich sollte vielleicht besser sagen: viele Nebenprodukte, denn vor allem die Anthropologen sind sehr darauf bedacht, die Unterschiede zwischen den Religionen der Welt herauszustellen, nicht nur die Gemeinsamkeiten. Die Befunde der Anthropologen erscheinen uns nur deshalb so seltsam, weil sie uns nicht vertraut sind. Alle religiösen Überzeugungen kommen denen, die nicht mit ihnen aufgewachsen sind, seltsam vor. Pascal Boyer erforschte das Volk der Fang in Kamerun. Dort …

    wird erzählt, Zauberer hätten ein tierähnliches inneres Zusatzorgan, das nachts davonfliegt und anderer Leute Ernten zerstört oder ihr Blut vergiftet. Ferner heißt es, von Zeit zu Zeit würden sich diese Zauberer zu einem gigantischen Festmahl versammeln, bei dem sie ihre Opfer verzehren und künftige Angriffe planen. Von vielen Fang hört man auch, der Freund eines Freundes habe nachts selbst gesehen, wie die Zauberer über das Dorf hinwegflogen; dabei hätten sie auf einem Bananenblatt gesessen oder auch Zauberpfeile auf ahnungslose Opfer abgeschossen.

    Dann fährt Boyer mit einer Anekdote aus seinem eigenen Leben fort:

    Als ich diese und andere Merkwürdigkeiten beim Essen in einem Cambridger College erzählte, drehte sich einer unserer Gäste, ein bekannter katholischer Theologe, zu mir um und sagte: »Genau das macht die Ethnologie so faszinierend und zugleich so schwierig. Sie muss erklären, wie Menschen an solch einen Unsinn glauben können. « Ich war sprachlos. Bevor mir noch die richtige Erwiderung einfiel, die den Nagel auf den Kopf getroffen hätte, wurde bereits über anderes geredet. 87

    Geht man davon aus, dass besagter Theologe der Hauptrichtung der Theologie angehörte, so glaubte er wahrscheinlich an irgendeine Kombination folgender Aussagen:

    •   Zur Zeit unserer Vorfahren wurde ein Mann als Sohn einer Frau geboren, die Jungfrau war; ein biologischer Vater war daran nicht beteiligt.
    •   Derselbe vaterlose Mann sprach zu einem Freund namens Lazarus, der schon so lange tot war, dass er stank, und Lazarus erwachte sofort wieder zum Leben.
    •   Der vaterlose Mann selbst wurde wieder lebendig, nachdem er tot und seit drei Tagen begraben war.
    •   Vierzig Tage später stieg der vaterlose Mann auf einen Berg und verschwand dann mit seinem ganzen Körper im Himmel.
    •   Wenn man sich private Gedanken durch den Kopf gehen lässt, kann der vaterlose Mann (und auch sein »Vater«, der er selbst ist) die Gedanken hören und möglicherweise daraufhin etwas unternehmen. Gleichzeitig hört er auch die Gedanken aller anderen Menschen auf der Welt.
    •   Wenn man etwas Schlechtes oder etwas Gutes tut, kann der vaterlose Mann es sehen, auch wenn es sonst niemand sieht. Entsprechend werden wir belohnt oder

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