Der Gotteswahn
ist nicht an ihnen, sich den Kopf zu zerbrechen,
An ihnen ist nur, zu kämpfen und zu sterben.
So ritten sie denn ins Tal des Todes,
Sechshundert Mann mit den Pferden.]
(In einer der ältesten und kratzigsten Tonaufnahmen einer menschlichen Stimme liest Lord Tennyson selbst dieses Gedicht; der Eindruck, dass er dabei in einen langen, dunklen, aus den Tiefen der Vergangenheit aufsteigenden Tunnel spricht, erscheint auf gespenstische Weise angemessen.) Aus der Sicht des Oberkommandos wäre es vollkommen töricht, wenn man jedem einzelnen Soldaten gestatten würde, selbst zu entscheiden, ob er Befehle befolgt oder nicht. Staaten, deren Infanteristen nicht gehorchen, sondern aus Eigeninitiative handeln, werden ihre Kriege in der Regel verlieren. Aus Sicht der Staaten ist dies also nach wie vor ein gutes allgemeines Prinzip, auch wenn es im Einzelfall manchmal in die Katastrophe führt. Soldaten sind darauf gedrillt, so weit wie möglich zu Automaten oder Computern zu werden.
Ein Computer tut, was man ihm befiehlt. Er gehorcht sklavisch den Anweisungen, die ihm in seiner eigenen Programmiersprache erteilt werden. Deshalb kann er nützliche Tätigkeiten wie Textverarbeitung und Tabellenkalkulation ausführen. Aber das hat zwangsläufig einen Nebeneffekt: Er befolgt ebenso roboterhaft auch schlechte Anweisungen. Ob ein Befehl gute oder schlechte Auswirkungen haben wird, kann er nicht unterscheiden. Er gehorcht ganz einfach, genau wie Soldaten es tun sollen. Computer sind wegen ihres Kadavergehorsams nützlich, aber genau dieser Gehorsam macht sie zwangsläufig auch anfällig für Infektionen durch Softwareviren und -würmer.
Ein in böser Absicht geschriebenes Programm, das dem Computer sagt: »Kopiere mich und schicke mich an jede Adresse, die du auf der Festplatte findest«, wird einfach ausgeführt, und die Ausführung wiederholt sich in exponentieller Vervielfachung auf den nächsten Computern, an die das Programm geschickt wird. Die Konstruktion eines Computers, der gehorsam, nützlich und gleichzeitig immun gegen Viren ist, ist schwierig oder gar unmöglich.
Wenn ich gute Vorarbeit geleistet habe, sollte meine Argumentation über Kindergehirn und Religion jetzt bereits klar sein. Die natürliche Selektion stattet das Gehirn eines Kindes mit der Neigung aus, den Eltern oder Stammesältesten alles zu glauben, was sie erzählen. Ein solcher vertrauensvoller Gehorsam dient wie bei der Motte, die sich am Mond orientiert, dem Überleben. Aber die Kehrseite des vertrauensvollen Gehorsams ist sklavische Leichtgläubigkeit. Das unvermeidliche Nebenprodukt ist die Anfälligkeit für Infektionen mit geistigen Viren. Aus stichhaltigen Gründen, die mit dem darwinistischen Überleben zu tun haben, muss das Kindergehirn den Eltern vertrauen und ebenso auch anderen älteren Menschen, die von den Eltern als vertrauenswürdig bezeichnet werden. Dies hat automatisch zur Folge, dass der Mensch, der vertraut, nicht zwischen guten und schlechten Ratschlägen unterscheiden kann. Das Kind kann nicht wissen, dass »Plansch nicht in einem Teich voller Krokodile« ein guter Ratschlag ist, während »Du sollst bei Vollmond eine Ziege opfern, sonst bleibt der Regen aus« im besten Fall eine Vergeudung von Zeit und Ziegen darstellt.
Beide Ratschläge klingen gleichermaßen vertrauenswürdig. Beide stammen aus einer angesehenen Quelle und werden mit feierlichem Ernst vorgetragen, der Respekt gebietet und Gehorsam fordert. Das Gleiche gilt für alle Aussagen über die Welt, den Kosmos, unsere Moral und das Wesen der Menschen. Wenn das Kind dann erwachsen wird und selbst wieder Kinder hat, wird es aller Wahrscheinlichkeit nach wie selbstverständlich das Ganze – Sinnvolles und Unsinn – wieder auf die gleiche ansteckende, gewichtige Weise an den eigenen Nachwuchs weitergeben.
Nach dieser Vorstellung würden wir damit rechnen, dass in den einzelnen geografischen Regionen ganz unterschiedliche willkürliche Überzeugungen tradiert werden, die alle keine Grundlage in den Tatsachen haben, aber mit der gleichen Überzeugung für traditionelle Weisheiten gehalten werden wie der Glaube, dass Jauche gut für die Feldpflanzen ist. Man sollte also erwarten, dass Aberglaube und andere nicht tatsachengebundene Überzeugungen sich lokal weiterentwickeln und im Laufe der Generationen verändern; das geschieht entweder durch zufällige Verschiebungen oder durch eine Art Entsprechung zur darwinistischen Evolution, sodass sich schließlich ein Muster mit
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