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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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aktive Jagd eines intentionalen Agenten miterlebt; dies erkennt man daran, dass das Kind überrascht ist, wenn der vermeintliche Agent seine Jagd nicht fortsetzt.
    Der Gestaltungsstandpunkt und der intentionale Standpunkt sind nützliche Gehirnmechanismen: Sie beschleunigen unsere Mutmaßungen über Dinge, die für unser Überleben von Bedeutung sind, beispielsweise über natürliche Feinde oder potenzielle Paarungspartner. Aber wie andere Gehirnmechanismen können auch diese Standpunkte falsch funktionieren.
    Kinder und Naturvölker sehen eine Absicht hinter dem Wetter, hinter Wellen und Strömungen oder abstürzenden Felsen. Die gleiche Neigung haben wir alle im Zusammenhang mit Maschinen, insbesondere wenn sie uns im Stich lassen. Manch einer wird sich noch voller Mitgefühl daran erinnern, wie Basil Fawltys Auto in der Serie Fawlty Towers eine Panne hat, während er gerade die lebenswichtige Aufgabe hat, den Gourmetabend vor der Katastrophe zu bewahren. Er warnt den Wagen rechtzeitig, zählt bis drei, steigt aus, greift nach einem Ast und prügelt wie ein Besessener darauf ein. Solche Impulse hat wahrscheinlich fast jeder schon einmal zumindest einen Augenblick lang gehabt – wenn nicht mit einem Auto, dann vielleicht mit dem Computer.
    Justin Barrett prägte die Abkürzung HADD für »hyperactive agent detection device« (»überaktives Gerät zum Aufspüren von Agenten«). Voller Überaktivität sehen wir Agenten, wo gar keine sind, und dann vermuten wir Bös- oder Gutartigkeit, obwohl die Natur in Wirklichkeit nur völlig gleichgültig ist. Ich ertappe mich selbst immer wieder dabei, dass ich eine wilde Abneigung gegenüber einem völlig unschuldigen unbelebten Gegenstand wie meiner Fahrradkette empfinde. Kürzlich gab es einen traurigen Bericht über einen Mann, der im Fitzwilliam Museum in Cambridge über einen offenen Schnürsenkel stolperte, eine Treppe hinunterstürzte und drei unbezahlbare Vasen aus der Quing-Dynastie zertrümmerte: »Er landete mitten zwischen den Vasen, und die zersplitterten in unzählige Stücke. Er saß noch wie betäubt da, als das Personal hinzukam. Alle standen schweigend im Kreis, wie in einem Schockzustand. Dann zeigte der Mann auf sein Schnürband und sagte: ›Schauen Sie, das da ist schuld!‹« 92
    Andere Erklärungen über Religion als Nebenprodukt stammen von Hinde, Shermer, Boyer, Atran, Bloom, Dennett, Keleman und anderen. Dennett erwähnt eine besonders faszinierende Möglichkeit: Danach wäre die Irrationalität der Religion das Nebenprodukt eines ganz bestimmten eingebauten Irrationalitätsmechanismus in unserem Gehirn – unserer genetisch wahrscheinlich vorteilhaften Neigung, uns zu verlieben.
    Die Anthropologin Helen Fisher beschrieb in ihrem Buch Why We Love (Warum wir lieben) sehr eindringlich, wie verrückt die romantische Liebe ist und wie übertrieben sie im Vergleich zu den Dingen wirkt, die unbedingt nötig zu sein scheinen. Betrachten wir es einmal so: Aus der Sicht eines Mannes ist es höchst unwahrscheinlich, dass irgendeine Frau in seinem Bekanntenkreis hundertmal liebenswerter ist als die nächste Konkurrentin, und doch würde er es wahrscheinlich genau so beschreiben, wenn er in sie verliebt ist. Nüchtern besehen, ist eine Art »Viellieberei« viel vernünftiger als das fanatisch-monogame Engagement, zu dem wir neigen. (Als Viellieberei, polyamory , bezeichne ich die Überzeugung, dass man gleichzeitig mehrere Angehörige des anderen Geschlechts lieben kann, so wie man auch mehrere Weine, Komponisten, Bücher oder Sportarten liebt.) Wir akzeptieren ohne weiteres, dass wir mehrere Kinder, Eltern, Geschwister, Lehrer, Freunde oder Haustiere lieben. Ist es vor diesem Hintergrund nicht ausgesprochen seltsam, dass wir von der Liebe in einer Partnerschaft völlige Ausschließlichkeit fordern? Dennoch erwarten wir genau das und setzen alles daran, es zu erreichen. Dafür muss es einen Grund geben.
    Wie Helen Fisher und andere nachgewiesen haben, ist Verliebtheit von ganz besonderen Gehirnzuständen begleitet; unter anderem werden dabei neurologisch aktive chemische Substanzen (eigentlich also natürliche Drogen) ausgeschüttet, die für diesen Zustand spezifisch und charakteristisch sind. Evolutionspsychologen sind wie Fisher
der Ansicht, dass der irrationale Verliebtheitszustand wahrscheinlich als biologischer Mechanismus dafür sorgt, dass man einem zweiten Elternteil so lange treu ist, bis man gemeinsam ein Kind großgezogen hat. Aus darwinistischer

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