Der Graben: Thriller (German Edition)
der er entstanden ist, deutet darauf hin, dass hier Kräfte am Werk sind, die weit über die Grenzen menschlicher Erkenntnis hinausgehen.
Das Licht von Suchscheinwerfern in der Luft blitzte kreuz und quer über den Bildschirm, sodass man etwas mehr erkennen konnte. Einige von Fernsehsendern angeheuerte Hubschrauber schienen über dem Gebiet zu kreisen und warfen eine kinetische Aura künstlichen Lichts an die beinahe senkrechten Wände des Spalts. Die Reporterin überschrie immer noch den Lärm, um weitere Einzelheiten zu melden:
Der Spalt soll 300 Meter breit und 2.000 Meter tief sein und erstreckt sich über eine Länge von fast 450 Kilometern. Er ist nicht durch tektonische Aktivität entstanden. Ich wiederhole, für die Zeit, in der sich der Spalt gebildet hat, liegen keinerlei Berichte über tektonische Aktivität im Raum Los Angeles vor.
Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Es sieht aus, als wäre die Erde einfach verschwunden und hätte eine V-förmige Lücke hinterlassen.
Es heißt, dass der Spalt in der Länge noch zunimmt. Verlängert er sich weiter in der bisherigen Richtung, schneidet er vermutlich mitten durch San Francisco…
Hashiba schaute wie gebannt auf die Fernsehbilder. Ähnliches würde in jedem Programm zu sehen sein, in Nachrichtensendern und anderen, sobald die Nachricht bekannt wurde. Genau wie nach dem 11. September würden die Bilder wieder und wieder abgespult werden, die ganze Nacht hindurch, bis zum nächsten Morgen. Es war keine alltägliche Nachricht, dass sich über Nacht in Kalifornien ein 450 Kilometer langer Spalt gebildet hatte. Und dieser Spalt verlängerte sich weiter.
Als die Helikopter nordwärts kreisten, fiel ihr Scheinwerferlicht auf einen Nebenfluss des Salinas. Er war in der Mitte gespalten, und an der Ufermauer strömte das Wasser mit Macht in die Tiefe. Sobald das Wasser jedoch auf den Spalt traf, wurde es ins Nichts gesaugt – die senkrechten Wände waren knochentrocken. Das Wasser am Ufer reflektierte das Licht der Helikopter; es blitzte in der Dunkelheit auf wie Diamanten. Entlang des Damms auf der anderen Seite rutschten Minilawinen loser Erde hinunter. Der Anblick erinnerte Hashiba an den Krater in den Kräutergärten.
Der einzige Unterschied war die Form – der Krater war rund, wie ein umgedrehter Ameisenhaufen.
Die Reporterin schien das perfekte Wort zur Beschreibung des Spalts gefunden zu haben:
Es ist, als wäre eine scharfe Klinge mitten in die Erde gefahren und hätte nichts hinterlassen als diesen… Einschnitt. Einen Einschnitt mitten in der Erde.
Das Licht eines der Scheinwerfer fiel auf ein Auto, das genau auf die Kante des Einschnitts zuraste. Bremsen kreischten, doch das Auto blieb nicht stehen. Alle schauten wie gelähmt zu, wie das Auto über die Kante flog und ins dunkle Nichts fiel. Über dem Tumult war der Schrei der Reporterin zu hören, während eine der Kameras auf die Stelle gerichtet blieb, an der das Fahrzeug abgestürzt war. Offenbar war die Nachricht von dem Spalt noch nicht überall angekommen. Vor den Augen der Anwesenden fuhr ein Auto nach dem anderen über die Kante, und weitere Schreie waren zu hören. Einer der Helikopter kreiste über der Stelle, wo der Spalt die Straße durchkreuzte, und richtete seine starken Scheinwerfer darauf, um herannahende Autofahrer vor der Gefahr zu warnen.
Vermutlich würde es noch einige Zeit dauern, bis die Polizei eintraf, um das Gebiet abzuriegeln und die Straße zu sperren. Hashiba stand da, unfähig, zu verarbeiten, was er sah. Der Spalt war entlang des San-Andreas-Grabens entstanden. Und gerade in diesem Moment war Saeko unterwegs nach Ina, genau über der tektonischen Linie Itoigawa-Shizuoka. In Anbetracht der Uhrzeit konnte sie allerdings auch schon beim Haus der Fujimuras eingetroffen sein. Hashiba war es gleichgültig, ob der riesige Spalt im Fernsehen durch eine Veränderung in mathematischen Gleichungen entstanden war oder nicht. Die Bedeutung des Wortes »Phasenübergang« lag nun auf der Hand. Angesichts einer Katastrophe solchen Ausmaßes war klar, dass das Drehbuch für die morgigen Aufnahmen hinfällig war. Alle im Raum wussten das. Sie konnten nicht einmal mehr sicher sein, dass die Welt morgen noch da sein würde.
TEIL VI DER ÜBERGANG
45
Saeko parkte den Mietwagen am Fuß des Hügels und ging die sanfte Steigung zum Haus der Fujimuras hinauf. Es war das dritte Mal, dass sie das Haus betreten würde. Das erste Mal war im Juli gewesen, als sie sich für ihre
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