Der Graben: Thriller (German Edition)
hatte drei Gründe dafür zu glauben, dass seine Braut die Reinkarnation seiner Sandkastenliebe war. Als er seine verlorene Liebste einmal besucht hatte, schon während der letzten Stadien ihrer Krankheit, hatte sie sich damit abgefunden, dass sie sterben musste, und hatte versprochen, sie würden einander wiedersehen, auf einer Brücke über einem klaren Fluss. Der erste Grund war also, dass er seiner Frau auf einer Brücke über dem Fluss Mabechi begegnet war. Der zweite war, dass sie sich äußerlich ähnelten, mit einem Schönheitsfleck an der gleichen Stelle, links an der Unterlippe, und dem gleichen welligen, bräunlichen Haar. Der dritte Grund war der Entscheidende: Sie hatten am gleichen Tag Geburtstag.
Diese Umstände waren mitnichten Beweise, die seine The o rie von der Reinkarnation hätten untermauern können. Der eklatanteste Widerspruch war, dass die Frau aus Hachinohe zehn Jahre älter war als seine Sandkastenliebe. Trotz dieser eindeutigen logischen Schwäche war Hashibas Freund davon überzeugt, dass es stimmte. Damals hatte Hashiba eines begriffen: Ganz gleich, wie viel sich Leute auf ihre Fähigkeit zu logischem Denken oder auf ihren Verstand einbilden, wenn sie nur fest genug an etwas glauben wollen, steigern sie sich so in ihr absurdes Wunschdenken hinein, bis es für sie zur unbeugsamen Wahrheit wird.
Der Schlüssel war der zugrunde liegende Wunsch. Sein Freund hatte sich eine Geschichte zurechtgebastelt, weil er unbedingt daran glauben wollte, dass seine Beziehung zu seiner Sandkastenliebe einzigartig und vom Schicksal vorherbestimmt war – daher seine romantische Verklärung der Ereignisse.
Hashiba wurde bewusst, dass gemäß dieser Logik irgendein Teil von ihm das Ende der Welt tatsächlich erleben wollte. Er hatte schon oft gedacht, dass er, wenn die Welt einmal enden sollte, gerne dabei wäre. Er musste zugeben, dass irgendetwas in ihm mit Glanz und Gloria untergehen wollte; wenn es denn geschehen würde, dann sollte es seiner Generation passieren. Daher hatte sein Unterbewusstsein beschlossen, daran zu glauben, dass der Phasenübergang Wirklichkeit war. Die Vorstellung, dass das Ende alles verschlingen würde, dass das Schicksal der Menschheit irgendwie mit dem des gesamten Universums verflochten war, schien seine Furcht ein wenig zu lindern. Er glaubte sogar, irgendwo in seiner Brust eine Art perverses Hochgefühl zu empfinden. Langsam und qualvoll zu sterben, allein und nach dem Verlust eines geliebten Menschen – diese Art des Todes fürchtete er am meisten. Bis ans Ende des Universums zu leben, das war etwas ganz anderes.
Einmal hatte er mit seinen Kollegen zusammengesessen und über einen Artikel geredet, den jemand in einer Zeitschrift gelesen hatte. Thema war die »Henkersmahlzeit« gewesen – was man am letzten Tag vor dem Ende der Welt essen würde. Seine Kollegen hatten herumgealbert und leichthin Antworten gegeben wie Thunfisch, Gänsestopfleber, Sushi. Jeder hatte amüsiert seine eigene Vorstellung vom Ende präsentiert. Hashiba jedoch hatte ernsthaft über die Frage nachgedacht, und als er nach seiner Meinung gefragt worden war, hatte er gesagt, ihm sei wichtiger, mit wem er essen würde, nicht was. Damals war Hashiba bereits verheiratet und Vater gewesen, doch bei seiner Antwort hatte er nicht an seine Frau gedacht. Er war immer der brave Junge gewesen, der zielstrebig seine Karriere verfolgte und eine mustergültige, wenn auch langweilige Ehe führte. Er erinnerte sich, dass er beschlossen hatte, wenn er schon über diese Frage nachdachte, könnte er ebenso gut seiner Fantasie freien Lauf lassen, und er hatte versucht, sich die perfekte Frau als Partnerin vorzustellen. Dabei war ihm niemand Spezielles in den Sinn gekommen. Heute dagegen, als das Szenario Wirklichkeit wurde, begriff er, dass er die Frau seiner Träume gefunden hatte. Das war wohl Ironie des Schicksals.
Wie sollte er die letzten Stunden verbringen, die ihm noch blieben? Sollte er den braven Jungen spielen, wie er es immer getan hatte, und seine Begierden unterdrücken? Er fragte sich, ob er mit dem Leben, das er bisher geführt hatte, wirklich glücklich war. Er war sich nicht sicher; das war die ehrliche Antwort. Er war sich sicher, dass ihn kein Leben nach dem Tod erwartete, daher machte er sich keine großen Sorgen, dass er nach seinem Ableben gerichtet würde. Die Stimme der Versuchung lockte ihn und forderte ihn auf, all seine Moralvorstellungen über Bord zu werfen. Die Erinnerung an Saeko, halb
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