Der Graben: Thriller (German Edition)
Damit die Kameraleute ihre Bewegungen auf ihrem Erkundungsgang durch das Haus festhalten konnten, mussten sie wenigstens ungefähr wissen, wohin sie gehen würde.
Der Grundriss des Hauses war typisch. Die beiden oberen Räume waren die Kinderzimmer. Die Küche und der kombinierte Wohn-/Essbereich lagen im Erdgeschoss, in dem sich auf der anderen Seite des Flurs auch das Elternschlafzimmer und ein Gästezimmer befanden. Ein ganz normales Haus mi t vier Schlafzimmern, in dem eine vierköpfige Familie reichlich Platz hatte.
»Würden Sie so nett sein und uns ungefähr sagen, welchen Weg Sie durch das Haus nehmen wollen?«, bat Hashiba. »Sie werden von zwei Kameras begleitet. Eine konzentriert sich auf Ihr Gesicht, die andere nimmt aus Ihrem Blickwinkel das auf, was Sie sehen. Klingt das sinnvoll?«
»Heißt das, dass eine Kamera vor mir sein wird?«, wollte Torii wissen. »Ich werde mich nach dem richten, was mein Interesse weckt.« Sie redete langsam, sprach jedes Wort ganz deutlich aus.
Hashiba schaute zum Himmel hinauf und dachte einen Augenblick nach. »Also gut. Aber wenn Sie etwas sehen, was Sie interessiert, bewegen Sie sich nicht zu schnell. Geben Sie den Kameraleuten bitte eine Chance, mit Ihnen Schritt zu halten.«
»Gewiss. Ich denke daran.«
»Ich danke Ihnen.«
Nach diesen Absprachen gab Hashiba den Kamera- und Tontechnikern Anweisungen.
Während Saeko das Gespräch zwischen Hashiba und Torii beobachtete, kam ihr ein Gedanke. Torii spricht wie ich.
Natürlich war das völlig nebensächlich. Und logischerweise wusste Saeko gar nicht genau, wie sie sich für andere Leute anhörte. Doch verschiedene Bekannte, unter anderem Hashiba, hatten oft bemerkt, dass Saeko redete wie eine wesentlich ältere Person.
»Bei mir in der Nähe gibt es einen Laden, der echt gute Shinshu-Soba-Nudeln macht«, raunte Seiji plötzlich und unterbrach damit Saekos Gedanken. »Da gehen wir heute Abend hin. Ich lade Sie ein. Nur Sie und ich.«
Überrascht fuhr Saeko zu ihm herum. Seijis Gesicht war voller Falten, obwohl er erst Mitte fünfzig war. Seine runden Äugelchen starrten sie aus seinem runzligen Gesicht an und blinzelten ständig. Es war offensichtlich, dass er sein Bestes gab, um ein Lächeln zustande zu bringen, doch seine Augen strahlten keine Wärme aus.
Unglaublich. Er will ein Rendezvous mit mir?
Saeko wäre selbst dann ungern mit Seiji essen gegangen, wenn der Rest des Teams dabei gewesen wäre. Überflüssig zu erklären, dass sie keinerlei Bedürfnis hatte, mit ihm allein zu sein. Außerdem war ihr nicht wohl dabei, sich von jemandem einladen zu lassen, der hoch verschuldet war.
»Tut mir leid, heute Abend bin ich schon mit dem Filmteam zum Essen verabredet«, lehnte sie vorsichtig ab. In Wirklichkeit gab es für den Abend keinen offiziellen Plan, doch es war mehr als wahrscheinlich, dass es so kommen würde. Seiji machte große Augen, wie ein Huhn, das von einem Blasrohrpfeil getroffen wurde. »Wann sind Sie fertig?«
»Fertig…?«
»Wir können uns nach Ihrem Essen treffen.«
Er ließ nicht so schnell locker. Saeko schauderte. »Ich weiß nicht genau, wann wir zurückkommen, aber ich denke, es könnte ziemlich spät werden.«
»Macht nichts. Das geht schon. Ich warte auf Sie, auch wenn es die ganze Nacht dauert.«
»Sie müssen sich wirklich nicht solche Umstände machen.«
»Das sind keine Umstände. Sie sollten sich nicht so viele Gedanken um andere Leute machen. Sie sollten tun, was Sie tun wollen, und mit mir Soba-Nudeln essen gehen. Ehrlich, Sie sind einfach zu förmlich.« Während Seiji sprach, streckte er die Hand nach Saekos Schulter aus, doch sie wich zurück.
»Ich fürchte, heute Abend geht es einfach nicht.« Saeko verzog das Gesicht. Es war nicht leicht, jemandem zu entkommen, der alles so auslegte, wie es ihm passte.
Seiji spielte mit dem Schlüsselbund in der Tasche seiner Jogginghose, sodass es neben seinem Schritt leise klimperte. Wahrscheinlich fummelte er an dem Haustürschlüssel der Fujimuras herum.
Es war, als ob das Klimpern sagen sollte: Wenn Sie in das Haus reinwollen, junge Frau, tun Sie besser, was ich sage.
Saeko kniff die Augen zusammen – die Nachmittagssonne war grell. Sie hatten im Schatten der Dachvorsprünge des Hauses gestanden, doch als die Sonne nun am westlichen Himmel sank, schienen ihr die Strahlen in die Augen.
Sie schirmte sie mit der Hand ab, als sie den Blick hob. Zu dieser Jahreszeit waren die Tage kurz, und die Sonne sank rasch zum Horizont.
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