Der Graben: Thriller (German Edition)
Badezimmer und ging quer über den Flur ins Elternschlafzimmer, dessen Boden mit Tatami-Matten ausgelegt war.
Das Zimmer ging auf eine Südterrasse hinaus, die noch warm von den Sonnenstrahlen war. Dort stand ein altmodischer Korbstuhl mit einer handgestrickten Jacke über der Rückenlehne. Hashiba konnte sich vorstellen, wie Haruko, die Ehefrau, mit der Jacke bekleidet in dem Stuhl saß, die Sonne genoss und in den Garten hinausschaute. Im Geiste folgte er ihrem Blick und bemerkte ein Insekt, das dort draußen im Gras zirpte. Der dünne Ton, der wie Schilf raschelte, wurde zusammen mit dem Geruch nach Erde in den Raum geweht, als Hashiba seine Aufmerksamkeit wieder dem Schlafzimmer zuwandte.
Zwischen zwei Türen des Wandschranks befand sich ein schwarzer buddhistischer Altar mit einer halb heruntergebrannten Kerze. Auf dem Regal davor waren eine Teetasse und vier Kapseln einer Medizin ordentlich aufgereiht; daneben lagen zwei lange, glatte Steine, die zum Schriftzeichen für »Mensch« gelegt worden waren, fast wie in einer Art religiösem Ritual.
Das Foto auf dem Altar zeigte vermutlich den Großvater väterlicherseits. Es war schwer zu sagen, wie alt er auf dem Bild war, doch sein Gesicht hatte die Form eines Wassermelonenkerns, und sein Kopf war vollkommen kahl. Mit seinem runzligen Gesicht sah er Seiji unglaublich ähnlich. Da sie Vater und Sohn waren, war das vielleicht auch nicht verwunderlich. Mit seinem kahlen Schädel erinnerte er Hashiba an eine Schlange.
Direkt vor dem Foto des Patriarchen der Familie Fujimura lag etwas Schwarzes, Glänzendes. Hashiba nahm es in die Hand. Es war ein ledergebundener Terminkalender. Auf dem Einband war in Goldbuchstaben die Jahreszahl 1994 gedruckt, und aus irgendeinem Grund machte der matte Schimmer Hashiba neugierig. Aufgrund seines Alters, des Verwendungszwecks und des Fundorts schien der Kalender genau das richtige Objekt für Toriis Hellseherei zu sein.
12
Eine der Kameras nahm über Shigeko Toriis Schulter hinweg eine Ansicht des Tisches auf. Auf dem dunkelbraunen Esstisch verstreut lagen verschiedene Gegenstände des täglichen Gebrauchs, die den Fujimuras gehörten: die Zahnbürsten, die zum zerknitterten Klumpen getrockneten Handtücher und die Unterwäsche, die Hashiba eingesammelt hatte; die Federkästen, Schlafanzüge und der Walkman, den Kagayama von oben aus den Kinderzimmern mitgebracht hatte.
Torii nahm einen Gegenstand nach dem anderen in die Hand, hielt ihn sich an die Stirn, schnupperte daran, betrachtete ihn genau und sortierte alles nach Kategorien. Bald lagen vier kleine Haufen auf dem Tisch. Da sich in jedem eine Zahnbürste befand, schien sie alles nach den Besitzern geordnet zu haben. Zu jedem Stapel gehörten etwa drei Gegenstände, höchstens vier.
In diesem Moment bemerkte Saeko einen kleinen, schwarzen, rechteckigen Gegenstand, der abseits der vier Haufen lag.
Hinter der Kamera reckte sie den Hals, um zu sehen, um was es sich bei dem einzelnen Teil handelte. Ein Zigarettenetui? Nein. Es sah eher aus wie ein Terminkalender. Saeko merkte, dass das Ding sie neugierig machte. Irgendwie kam es ihr bekannt vor. »Bitte, beschreiben Sie so genau wie möglich, wo Sie sich befinden«, wies Hashiba Torii an, doch Saeko achtete nicht darauf. Sie sah nur noch den schwarzen Terminkalender.
Hashiba wollte nicht nur ein vages Bild – er wollte eine detaillierte Beschreibung, die es ihnen ermöglichen würde, den genauen Aufenthaltsort der Familie zu bestimmen. Einen Fluss, eine Brücke, einen See… Es war unwahrscheinlich, dass die Fujimuras noch lebten – das war auch Hashiba klar. Als Regisseur wünschte er sich trotzdem, dass sein Projekt zur Aufklärung des Falls beitrug. Wenn die Leichen der Fujimuras irgendwo versteckt worden waren, sollte seine Sendung dazu führen, dass sie gefunden wurden. Das war der einzige Grund dafür, dass er Shigeko Torii engagiert hatte.
Andererseits wollte er Torii nicht übermäßig unter Druck oder Stress setzen. »Lassen Sie sich jetzt Zeit und entspannen Sie sich. Können Sie uns ein wenig über das Bild erzählen, das Sie vor sich sehen?«, ermunterte er Torii.
Plötzlich atmete Torii schwer. Sie fasste sich an die Brust und reckte die Kehle in Richtung Zimmerdecke. Ein Zittern breitete sich von ihren Fingerspitzen über die Hände und Arme aus und erfasste dann ihren ganzen Körper, sodass der Tisch wackelte. Ihr Körper streckte sich leicht. Mit einem Mal sprang sie vom Stuhl auf und stürzte durch den
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