Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Graben: Thriller (German Edition)

Der Graben: Thriller (German Edition)

Titel: Der Graben: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kôji Suzuki
Vom Netzwerk:
Raum in die Küche. Sie riss einen der Schränke auf, als wüsste sie genau, was darin war, und holte eine Flasche Sake heraus. Von der Arbeitsplatte neben der Spüle nahm sie einen Messbecher, füllte ihn randvoll und kippte das Zeug hinunter. Dann stellte sie die Flasche ab und sah auf, wandte den Kopf hierhin und dorthin und ließ die Blicke flink durch den Raum schweifen. Die raschen Bewegungen ihrer Pupillen schienen darauf hinzudeuten, dass ihr Bilder von ähnlicher Intensität durch den Kopf schossen. Kurz darauf war ihr Blick nicht mehr so unruhig, sondern konzentrierte sich auf einen Punkt.
    Saeko war unterdessen immer faszinierter von dem schwarzen Büchlein auf dem Tisch. Sie beugte sich hinüber und versuchte, einen besseren Blick darauf zu erhaschen, während die Kameras auf etwas anderes gerichtet waren. Der schwarze Einband war abgegriffen und zerfleddert, und an den Ecken blätterte das Leder ab. Im oberen Teil der Vorderseite befand sich ein Zeichen, das einmal in Gold geprägt gewesen, jetzt aber fast ganz abgestoßen war.
    Dieses Zeichen kannte sie.
    Saeko streckte die Hand nach dem Kalender aus, hielt jedoch mitten in der Luft in der Bewegung inne. Durfte sie das Büchlein überhaupt anfassen? Ihr fiel ein, dass ihre Berührung womöglich Toriis Fähigkeit, daraus etwas zu lesen, behindern könnte. Doch Saeko war sich sicher, dass sie das Zeichen wiedererkannte. Es war raffiniert und ansprechend, ein sichelförmiges Boot mit einem Segel, das wie ein K in einem Kreis geformt war. Unter dem Zeichen war die Jahreszahl 1994 aufgedruckt – das Jahr, dessen Tage die Seiten des Kalenders aufführten.
    Neunzehnhundertvierundneunzig – das Jahr hatte eine besondere Bedeutung für Saeko.
    Die Kameras folgten Torii zurück zum Tisch. Rasch, bevor die Kameras darauf gerichtet waren, schnappte Saeko sich das Büchlein und zog sich zurück an den Rand des Zimmers.
    »Wenn es das ist, was Sie wollen, na schön. Ich halte Sie nicht auf!«, hallte plötzlich die Stimme eines Mannes in ihrem Kopf.
    Sie zuckte zusammen und schaute sich rasch nach allen Seiten um. Tadelte jemand aus dem Fernsehteam sie, weil sie ohne Erlaubnis etwas angefasst hatte? Doch da war niemand. Die Stimme war ihr völlig fremd gewesen. Jedes Wort war deutlich zu hören gewesen, und Saeko hatte den deutlichen Eindruck, sie habe die Erlaubnis erhalten, das Buch zu nehmen.
    Die Stimme klang ihr unauslöschlich im Kopf, dunkel und bedrohlich, sodass sich allmählich ein unbehagliches Gefühl in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Langsam dämmerte ihr, dass die Stimme nicht von außen, von einer realen Person, gekommen war. Es war eine imaginäre Stimme, die irgendwie dadurch ausgelöst worden war, dass sie den Kalender angefasst hatte. War das ein Zeichen dafür, dass sie ebensolche Kräfte erlangte wie Torii? Bei der Aussicht darauf, plötzliche Erkenntnisse über die Geschichte eines Gegenstandes zu erlangen, wann immer sie etwas berührte, war ihr gar nicht wohl.
    Saeko kauerte sich in die Ecke des Raumes und versuchte, nicht die Fassung zu verlieren, während sie das ledergebundene Büchlein mit beiden Händen fest umklammerte. Unterdessen liefen die Kameras ohne sie weiter…
    Torii saß vollkommen reglos auf ihrem Stuhl, beide Hände fest auf die Tischplatte gepresst. Hashiba schaute sich das eine ganze Weile an, bis er es nicht mehr aushielt und dazwischenfunkte. »Frau Torii, was sehen Sie? Können Sie es uns beschreiben?«
    Torii hob beide Hände und bewegte sie mit nach unten ge richteten Handflächen langsam über der Tischplatte hin und her. Sie schien durch die Handflächen übersinnliche Kräfte aus dem persönlichen Besitz der Familie ziehen zu wollen, doch zum ersten Mal, seit sie Torii kennengelernt hatte, kamen Saeko die theatralischen Bewegungen aufgesetzt vor. Wie sie mit geschlossenen Augen in der Luft herumfuchtelte, erinnerte die Alte Saeko an einen weltentrückten Maestro, der die letzten Takte einer Sinfonie dirigiert.
    Aus Toriis Kehle klang ein tiefes Grummeln. Ihre übertriebenen Bewegungen wurden kleiner und kleiner, bis nur noch ihre Fingerspitzen einen kleinen Kreis in der Luft beschrieben. Die Mittelfinger beider Hände zeigten nach unten, als deuteten sie auf eine unsichtbare Röhre, die als Pforte in eine andere Welt dienen konnte.
    »An jenem letzten Abend war außer den Fujimuras noch jemand in diesem Haus«, orakelte Torii düster. Ganz offensichtlich war sie jetzt in einem Trancezustand. Eine gelbliche Aura

Weitere Kostenlose Bücher