Der Grabritter (German Edition)
einmal bitten. »Okay, bin gleich zurück.« Schnell verließ er durch die Schleuse die Station in Richtung Fahrstuhl. Das Lächeln aus dem Gesicht des Mannes, der sich Dr. Rütten nannte, verschwand. Dann trat er in das Zimmer. Der Kriminalrat lag in seinem Bett, angeschlossen an alle möglichen Apparaturen. Alles war ruhig. Nur das monotone Arbeiten der Herz-Lungenmaschine war zu hören. Der Mann warf einen Blick auf Herzogs Gesicht. Dann sah er sich im Zimmer um. Oben an der Wand gegenüber von Herzog hatte er etwas gesehen. Ein Kreuz mit einer Christusfigur hing dort. Herzogs Frau hatte darauf bestanden, dass es dort im Zimmer aufgehängt wurde.
Der Mann sah auf das Kreuz, wieder zurück zu Herzog und dann zur Tür. Perfekt , dachte er bei sich. Ohne zu zögern, machte er sich an die Arbeit. Er nahm das Kreuz von der Wand und holte aus seiner Tasche eine Zange. Vorsichtig entfernte er einen schwarzen Nagel, der in den Füßen der Christusfigur steckte. Aus einer anderen Tasche holte er eine schwarze Masse heraus. Er knetete ein Stück davon weich und presste es auf das kleine Loch. Schließlich nahm er eine Minikamera und setzte sie in die Knetmasse. Nachdem er das Kreuz wieder an seine Stelle gehängt hatte, trat er einen Schritt zurück und begutachtete das Ganze. Die Kamera war so gut wie nicht zu erkennen. Er zog einen kleinen Bildschirm hervor und schaltete ihn ein. Ein gestochen scharfes Bild erschien. Es zeigte das Zimmer, in dem er sich befand. Ein Teil des Türbereiches war noch nicht zu sehen. Der Mann ging wieder zu dem Kreuz und richtete die Kamera erneut aus. Wieder sah er auf den Bildschirm. Jetzt war er zufrieden.
Er schaltete den Bildschirm ab und steckte ihn weg. Im Herausgehen warf er noch einmal einen Blick zu Herzog hinüber. Er lachte leise, und machte eine Kopfbewegung in Richtung der Christusfigur. »Keine Angst, der passt auf.« Als er das Zimmer verlassen hatte, kam auch schon der Wachmann wieder zurück durch die Schleuse. Lächelnd bedankte er sich bei dem vermeintlichen Arzt und nahm seinen Posten wieder ein. Unbehelligt und ohne Eile verließ der vermeintliche Dr. Rütten die Station . Weit entfernte er sich allerdings nicht. Ein paar Flure weiter ging er zielbewusst zu einem Zimmer, das auf einer Privatstation lag. Er klopfte kurz, und die Tür öffnete sich. Ein anderer Mann ließ ihn hinein und verschloss die Tür wieder. Der falsche Arzt grinste und entledigte sich der Bekleidung, die er sich in einer Wäschekammer des Krankenhauses ausgeliehen hatte. »Na, wer sagt‘s denn. Hat doch prima funktioniert. Auf unsere zackigen Beamten kann man sich eben fest verlassen.« Er holte den kleinen Monitor aus seiner Tasche und schloss ihn an den Fernseher im Zimmer an. Alle Bereiche von Herzogs Zimmer waren klar und deutlich auf dem Bildschirm zu sehen. Dann warf sich der Mann auf eines der Betten im Zimmer. »Also schön. Wechseln wir uns ab. Alle zwei Stunden übernimmt der andere. Wer fängt an?« Der Angesprochene machte es sich in einem Sessel vor dem Fernseher bequem. »Schon gut, mach die Augen zu. Ich übernehme die erste Schicht.«
36
Kerner schloss die Tür zu seiner Wohnung in Berlin auf und ging hinein. Als er ins Wohnzimmer kam, und seine Jacke auf die Couch warf, bemerkte er das Blinken des Anrufbeantworters. Zwei neue Nachrichten. Kerner schaltete die Wiedergabe ein und ging zum Fenster, um etwas frische Luft herein zu lassen. Sam war der Erste, der angerufen hatte. »Hallo Marcus, ich bin‘s, Sam. Ich hoffe, meine Freunde konnten dir weiterhelfen. Wenn du wieder zurück bist, ruf mich doch an. Also, Don Camillo, ich warte auf deinen Anruf. Halt die Ohren steif.«
Kerner schaute aus dem Fenster und dachte wieder an seine Begegnung mit dem Grabritter. Wenn das, was ihm Graf Siegfried von Löwenberg erzählt hatte, stimmte, und daran zweifelte er nun nicht mehr im Geringsten, dann war er wirklich ahnungslos gewesen. Der Fall hatte plötzlich Dimensionen angenommen, die weder er selbst noch Herzog für möglich gehalten hatte. Eine Vereinigung derart mächtiger Leute mit Zielen, wie einst fanatische Nazis sie hatten, zudem ausgestattet mit einem gigantischen Vermögen, waren eine furchtbare Bedrohung. Es musste einen Weg geben, sie zu stoppen.
Dann hörte Kerner die Stimme des zweiten Anrufers. Es war Bice de Vigiani. »Guten Tag, Mr. Baranow. Wirklich schade, dass ich Sie nicht erreiche. Unser Wiedersehen könnte tatsächlich stattfinden.
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