Der Graf und die Diebin
Der junge Hitzkopf war offensichtlich ebenfalls auf die Gerüchte hereingefallen. Ein Grund mehr, sich endlich von de la Solle zu befreien. „Jeanne?“
Sie sah zu ihm auf und versuchte ihren Kummer zu verbergen. „Wir haben einen Pakt geschlossen, Jeanne“, sagte er leise. „Ich habe meinen Teil erfüllt – nun wäre es an dir.“ Sie nickte.
„Wenn ich es könnte, so würde ich alles rückgängig machen“, gestand sie. „Ich wünschte, ich wäre in die Normandie gefahren, so wie Christian es wollte. Dann wäre er jetzt bei mir und wir wären glücklich. Aber so....“
„Jeanne“, flehte er. „Bitte!“
Sie hob den Kopf und lächelte tapfer. „Ja, ich habe es versprochen. Und ich halte mein Versprechen. Ich bin bereit.“
Er nahm ihre Hand und küsste sie. Während der gesamten Fahrt saß er ihr stumm gegenüber und war mit den widersprüchlichsten Gedanken beschäftigt. Erst als sie ausstiegen, richtete er wieder das Wort an sie.
„Jeanne“, sagte er leise, als sie die Treppe zu ihrer Wohnung hinaufschritten. „Ich will nicht der Grund dafür sein, dass du unglücklich wirst. Pack deine Sachen und reise in die Normandie. Ich entbinde ich von deinem Versprechen.“
Überrascht blieb sie stehen und starrte ihn an. „Warum sagt Ihr das?“
„Frage mich das nicht. Ich weiß es selbst nicht. Geh, ich bitte dich.“
Aber sie schüttelte entschlossen den Kopf. „Nein“, sagte sie. „Ich habe mein Wort gegeben. Und ich halte es.“
Als er wieder in seiner Kutsche saß, schalt er sich einen Dummkopf. Dieses Mädchen war gefährlich. Nicht nur, weil sie bezaubernd schön und verführerisch war, sondern sie brachte es auch fertig, seine vorgefasste Meinung über die Bosheit des menschlichen Geschlechts, die sich bisher immer als richtig erwiesen hatte, zu erschüttern.
Jeanne hatte das Gefühl, zu einer Hinrichtung zu fahren. Langsam rumpelte die Kutsche durch die engen dunklen Gassen der Stadt, immer wieder musste der Kutscher die Pferde zügeln, um Reiter oder Fußgänger vorüber zu lassen.
„Du siehst berückend aus, Jeanne“, sagte Roger de Gironde, der ihr im prächtigen Staatsrock gegenübersaß. „Ich bin stolz darauf, eine Tochter wie dich zu haben.“ Sie sah ihn zweifelnd an und zwang sich zu einem Lächeln. In diesem Augenblick wäre sie gern wieder die kleine Jeanne aus Kerrignan gewesen, die mit den Dorfkindern am Bach hockte und selbstgebaute Schiffchen aufs Wasser setzte. Sogar den widerlichen Pierre hätte sie in Kauf genommen und auch die harte Feldarbeit. „Nur Mut“, sagte er und nahm ihre kalte Hand, um sie zu wärmen. „Du wirst es schaffen, Jeanne.“
„Ja“, gab sie leise zurück.
Sie hatte sich auf das Spiel eingelassen und würde es nun zu Ende spielen. Auch wenn sie Christians Zorn damit weitere Nahrung geben würde. Aber der junge Comte hasste sie sowieso abgrundtief, und sie wusste nicht, wie sie ihm ihre Unschuld beweisen sollte. Warum hatte er nur kein Vertrauen zu ihr?
Ein eiskalter Wind fegte über den Cour d’honneur des Louvre, als die Kutsche hielt, und ein Diener den Schlag öffnete, um sie aussteigen zu lassen. Jeanne zog den breiten Mantelkragen über den Kopf und eilte an Rogers Arm in die breite Eingangshalle. In den meisten Räumen des großen Schlosses war es kaum wärmer als draußen, nur die Zimmer der königlichen Familie waren geheizt und durch die Menschenansammlung, die sich dort aufhielt, sogar heiß und stickig.
Jeanne hatte inzwischen ihren Platz in der Rangfolge der Damen eingenommen, man stellte ihr bei den Konzerten einen Stuhl bereit, und beim höfischen Tanz hatte sie sich zwischen zwei Hofdamen aufzustellen, denen sie im Rang entsprach. Hin und wieder hatte der König ihr beim Tanz zugelächelt, und wenn er bei den gravitätischen Schrittfolgen der Tänze ihre Hand fasste, spürte sie die Blicke der Hofdamen wie kleine Spieße auf sich gerichtet. Louise de La Vallière, die immer noch offiziell in der Gunst des jungen Königs stand, behandelte die junge Duchesse mit großer Freundlichkeit. Die Königin jedoch beobachtete ihre Schritte mit Argwohn, und es hieß bereits, dass Marie- Therèse sich abfällig über diese „unverschämte Person“ geäußert habe.
An diesem Abend bezauberte ein Sänger die Hofgesellschaft, ein noch sehr junger Mann, dessen Stimme so unfassbar komplizierte Koloraturen vollführte, dass das sonst so träge Publikum immer wieder Applaus spendete. Manche Dame und auch etliche Herren warfen dem
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