Der Graf und die Diebin
Hofgesellschaft stoßen. Ich denke, du bist dir der großen Ehre bewusst, zu diesem Ausflug eingeladen worden zu sein.“
„Ich bin immer stolz und glücklich, unseren König sehen zu dürfen“, sagte sie mit ernstem Augenaufschlag.
Sie sagte die Wahrheit. Seit ihrer Einführung an den Hof war sie zu verschiedenen Gelegenheiten dort erschienen, und der junge Ludwig XIV. hatte sie von Mal zu Mal mehr beeindruckt. Ein starker Sog ging von diesem Mann aus, niemand konnte sich der Wirkung seiner Persönlichkeit entziehen. Er war nicht nur ein charmanter Plauderer und gewandter Tänzer, dem die Herzen aller Damen zuflogen – er bezauberte auch die adeligen Herren bei Hofe und zwang ihnen mit schier unglaublicher Leichtigkeit seinen Willen auf. Der König erschien Jeanne immer mehr als ein strahlender Stern, der alle Menschen in seiner Umgebung in seinen Bann zog.
Und doch klopfte ihr Herz heute aus ganz anderen Gründen so unruhig, sodass sie immer wieder die Hand auf ihre Brust legte, als wollte sie es festhalten. Er würde dort sein. Christian war ruhmreich aus dem Krieg zurückgekehrt und ebenfalls zum königlichen Ausflug ins Jagdschloss Versailles geladen. Wie würde er es aufnehmen, seine Jeanne als Duchesse de Gironde wieder zu treffen?
Das feuchte Herbstwetter hatte wenig Respekt vor dem königlichen Willen – denn als sie durch die halbkreisförmig ummauerte Gartenanlage auf das Eingangstor des Schlosses zuhielten, ging ein leichter Nieselregen nieder. Welkes Laub, vom Regen durchweicht, bedeckte die Zufahrt. Es war so rutschig, dass ein Diener, der die eisernen Torflügel vor ihnen öffnete, dabei ausglitt und in den Matsch fiel. Im breit angelegten, viereckigen Schlosshof standen bereits mehrere Wagen und Karossen, Diener versorgten Reitpferde, Jagdhunde liefen umher und kläfften die hereinfahrenden Kutschen an.
„Der König geruht, den Garten zu besichtigen“, erklärte ein eifriger junger Adeliger, der zu ihrem Empfang zurückgelassen worden war. „Seine Majestät entschuldigt sich bei der Dame für die Unbillen der Witterung und hofft, sie später bei Tisch im Schloss zu treffen.“
„Denkt er, ich habe Angst vor ein paar Regentropfen?“, meinte Jeanne unwillig.
„Bringt uns zwei Reitpferde“, ordnete de Gironde an. „Wir werden seine Majestät im Garten aufsuchen. Wenn der König sich nicht an diesem scheußlichen Wetter stört, dann ist es unsere Pflicht, gleichfalls dem Regen zu trotzen.“
„Ganz wie Ihr wünscht, Duc.“
Es war nicht ganz einfach, in Kleid und Mantel auf das Pferd zu steigen, und sie spürte die belustigten Blicke ihres Begleiters, der genau wusste, dass sie viel lieber in Männerkleidung geritten wäre. Während sie um den südlichen Schlossflügel ritten, um in den Garten zu gelangen, bewunderte er wieder ihre Biegsamkeit und ihre geschickte, ruhige Art, das Pferd zu lenken. Sie war eine glänzende Amazone und sprengte so rasch davon, dass er fast Mühe hatte, ihr zu folgen.
Die königliche Gesellschaft befand sich inmitten einer kleinen Gartenanlage auf der rückwärtigen Seite des Jagdschlösschens. Man war zu Pferde, und die Herren hatten die breiten Hüte tief ins Gesicht gezogen, um sich vor dem Nieselregen zu schützen. Der Gruppe hatten sich nur wenige unerschrockene Damen angeschlossen – die meisten hatten es vorgezogen, im Schloss vor dem Wetter Schutz zu suchen.
Jeanne hatte die kräftige und doch schlanke Gestalt des Comte de Saumurat schon aus der Ferne erkannt mit seinem leuchtenden blonden Haar unter dem breiten Hut. Er hatte den Blick auf die heranreitende Amazone gerichtet, regte jedoch keine Hand, um sie zu grüßen. Als Jeanne mit de Gironde zu der königlichen Gesellschaft stieß, machte man den beiden Platz, damit sie dem König ihre Reverenz erweisen konnten. Ludwig war bester Laune. Ein anerkennendes Lächeln umspielte seine Lippen, als die schöne junge Frau zu ihm aufritt.
„Ich bin beeindruckt, Duchesse“, rief er. „Ihr scheint weder Regen noch Sturm zu fürchten und reitet so sicher dahin wie eine junge Göttin. Ich glaube, mein erster Eindruck damals war doch richtig: Ihr seid eine wahrhaft bezaubernde Diana.“ Jeanne strich sich eine regenfeuchte Locke aus dem Gesicht und lachte. „Nichts kann mich aufhalten, Sire, wenn ich in Eurer Nähe sein kann. Aber ich gebe zu, dass ich mich hier in der freien Natur zu Pferde wohler fühle als in den kostbaren Gemächern des Louvres.“
Er lachte. Ihre Offenheit gefiel ihm,
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