Der Graf und die Diebin
Tür, und der Gesuchte trat ein.
„Christian! Wir hatten schon Angst, du würdest freiwillig verhungern wollen!“
Der Comte sah mit gleichgültigem Blick über die Tafel, griff nach der Karaffe und goss sich einen Becher Wein ein. „Nun esst schon“, sagte er und machte eine auffordernde Handbewegung. Dann trank er den Wein in langen Zügen.
René packte erleichtert sein Messer und säbelte sich ein Stück des Bratens herunter. „Und was ist mit dir? Du schaust blass aus, alter Freund.“
Christian ließ sich auf einem Stuhl nieder und sah den beiden beim Essen zu. Die Fleischportionen, die sie in sich hineinstopften, widerten ihn an. Als René sich den Bratensaft aus dem Bart wischte, musste er sich abwenden. Er goss sich ein weiteres Glas Wein ein und trank in kleinen Schlucken.
René hielt das Schweigen bald nicht mehr aus. „Machen wir einen Ausritt? Das Wetter ist prächtig. Ich denke, die Stute braucht ein wenig Bewegung, sonst wird sie fett und faul.“
Christian verzog keine Miene. Dann nickte er. „Darüber lässt sich reden. Später....“, murmelte er gleichgültig.
René und Claude wechselten besorgte Blicke. Sie hatten ein halbes Jahr mit Christian verbracht und geglaubt, ihn inzwischen zu kennen. Zugegeben – manchmal waren ihnen seine tollen Einfälle etwas zu weit gegangen. Ebenso wenig hatten sie begriffen, wie man ganze Abende und Nächte in der Bibliothek zubringen konnte. Aber in puncto Frauen hatte Christian sich bisher ziemlich zurückhaltend gezeigt. Hin und wieder war er mit einem der Mädchen, die René aufs Schloss holte, in seinem Schlafzimmer verschwunden.
Doch niemals hatte er einen weiteren Gedanken an diese Frauen verschwendet.
„Wie geht es unserer Patientin?“, fragte Claude harmlos. Christian hob den Kopf und sah ihn durchdringend an.
„Besser“, knurrte er. „Marie versteht ihre Sache.“
„Diese Armbrust hat von vornherein nichts getaugt“, meinte René. „Ich habe dir schon vor Wochen gesagt, dass das Ding der reine Dreck ist.“
„Unsinn! Die Armbrust war hervorragend. Ich habe sie oft benutzt.“
René zuckte die Schultern und wandte sich wieder der Mahlzeit zu. Er hatte dem Freund eine Brücke bauen wollen – aber der war leider stur. Claude war zu neugierig, um diplomatisch zu schweigen. Er hatte lange über diesen Punkt nachgedacht.
„Dann war es vielleicht gar kein.... Unfall?“ Christian fuhr auf und fixierte ihn mit zornigem Blick.
„Was willst du damit sagen?“
Claude wand sich und hätte seinen leichtsinnigen Satz gern zurückgenommen. Er war aber nun einmal ausgesprochen. „Ich meine.... ich habe nur überlegt, ob du sie mit diesem Schuss ein wenig einschüchtern wolltest, die kleine Wildkatze.“
„Keineswegs“, gab Christian einsilbig zur Antwort. „Ich bin einfach ein Idiot, das ist alles.“
Diese Äußerung ließ die Freunde ein weiteres Mal sorgenvolle Blicke tauschen. René fühlte sich berufen, seinen Freund aufzurichten. „Dieses Mädchen ist den Aufwand doch gar nicht wert, Christian“, meinte er und steckte sich ein Stück Braten in den Mund. Genüsslich wischte er seinen Schnurrbart und fuhr fort: „Sie ist bildhübsch – keine Frage. Etwas Besonderes. Zigeunerblut. Diese Weiber sind feurig und wollen nur eines: Dass du es ihnen gründlich besorgst. Einfach ran an den Speck und keine langen Einleitungen.“
Christian blinzelte ihn spöttisch an. „Ach – du sprichst aus Erfahrung?“
„Freilich!“, brüstete sich René kauend. „Kenne die Sorte. Die verlangt den ganzen Mann. Keine Geschichte für ein kleines Schäferstündchen nebenbei. Diese Art ist mit allen Wassern gewaschen, und wenn du es ihr nicht besorgst, dann besorgt sie es dir.“
Christian grinste schwach. Ein Typ wie René würde Jeanne längst überwältig und genommen haben. Vielleicht wäre es leichter, als ein René geboren zu sein. Aber er war nun einmal Christian. „Danke für die Belehrung“, meinte er mit leisem Spott. „Wir sehen uns nachher bei den Pferden. Ein Ausritt ist eine gute Idee.“
Er erhob sich und verließ das Speisezimmer.
René, dem der Spott völlig entgangen war, nickte zufrieden und langte nach der Karaffe. Na also – er hatte seinen Freund wieder ins Leben zurückbefördert. Dafür genehmigte er sich einen Becher Rotwein extra. Claude hingegen sah dem Comte mit langem Blick hinterher. Den hatte es ordentlich erwischt, den armen Kerl. Schadenfreude erfüllte ihn. Das hatte er nun davon, der große Herr. Aber
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