Der Graf und die Diebin
vor ihr auf den Knien gelegen, den Kopf in ihren Röcken geborgen. Und als er sich erhob und ihr in die Augen sah, hatte eine unsagbare Zärtlichkeit in seinem Blick gelegen. Noch nie zuvor hatte ein Mensch sie so angesehen.
Und jetzt kam er nicht! Verflucht noch einmal – wieso kam er nicht? Jeanne fasste eine der bemalten Porzellanvasen, die auf dem Kamin standen und feuerte sie zornig in eine Ecke des Zimmers. Es gab ein lautes klirrendes Geräusch, und Nadine erschien mit großen, vor Schreck geweiteten Augen an der Tür.
„Mademoiselle? Was ist geschehen?“
Sie starrte auf die Scherben und sah dann zurück auf Jeanne, die mit schlechtem Gewissen dastand und nicht wusste, was sie sagen sollte.
„Mir.... mir ist leider die Vase heruntergefallen. Keine Sorge – ich werde Bertrand erklären, wie es geschehen ist. Du kannst nichts dafür, Nadine.“
Die Zofe suchte bekümmert in den Scherben herum, ob noch etwas zu retten war. Doch die Vase war endgültig ruiniert. Sie wandte den Blick zu Jeanne und sah sie mitleidig an.
„Er kommt ganz gewiss, Mademoiselle“, sagte sie leise. „Er wollte den Vormittag über niemanden sehen. Dann ist er ausgeritten und erst vor einer halben Stunde zurückgekehrt.“
Jeanne warf ärgerlich den Kopf zurück. Nadine sollte ja nicht glauben, sie habe Sehnsucht nach dem Comte. „Es ist mir gleich, was er tut“, schnaubte sie. „Hauptsache, er lässt mich in Ruhe!“
Nadine neigte gehorsam den Kopf und knickste. „Verzeihung, Mademoiselle. Ich gehe eine Kehrschaufel holen.“
Beschämt blieb Jeanne zurück. Warum benahm sie sich so albern? Wenn sie die Vase nun bezahlen musste? Das konnte sie nicht. Sie würde dafür arbeiten müssen. Sie beschloss, von nun an vernünftig zu sein. Er kam nicht – gut, dann kam er eben nicht. Sie würde ihm nicht nachlaufen. Wenn er ein Spiel mit ihr spielen wollte, dann sollte er wissen, dass auch sie zu spielen verstand.
Entschlossen zog sie den Umhang dicht um den Körper und ging auf den Flur hinaus. Wer hatte gesagt, dass sie sich nur in diesem engen Schlafzimmer aufhalten durfte? Wenn er sich schon nicht um sie kümmerte, dann würde sie eben das Schloss erkunden. Jeden einzelnen Raum würde sie sich anschauen. Und in der – angeblich verbotenen – Bibliothek würde sie jetzt den Anfang machen.
Sie drückte die Türklinke herab, und die schwere Holztür öffnete sich mit lautem Knarren. Im Raum war Licht. Ein Mann saß – über ein Buch gebeugt – an dem großen Tisch, der Kerzenleuchter stand neben ihm und beleuchtete sein Gesicht. Ein heißer Schreck durchfuhr sie. Doch es war nicht Christian, wie sie zuerst geglaubt hatte. Es war Claude.
Er hob den Kopf und riss die Augen auf, als er sie erkannte. Fast zitternd vor Aufregung erhob er sich von seinem Stuhl, während sie auf ihn zutrat. „Jeanne!“, flüsterte er. „Was tust du hier?“
Gleichgültig zog sie sich einen Stuhl herbei und setzte sich an den Tisch. „Ich kann nicht schlafen.“
Sie setzte die Ellbogen auf die Tischplatte und stützte den Kopf in die Hände. Von unten herauf schaute sie ihn lächelnd an. Claude stand in völliger Verwirrung wie gelähmt. „Setz dich wieder hin“, ordnete sie an.
Er gehorchte brav wie ein Schüler. Sein Herz klopfte so laut, dass er fürchtete, sie könnte es hören. Himmel, sie war hier, saß keinen halben Meter entfernt neben ihm am Tisch. Wie schön sie war. Wie verführerisch in diesem seidenen Umhang, der sich an ihren Körper schmiegte und seine köstlichen Formen erahnen ließ. Jene Formen, die er nur zu gut kannte....
„Was hast du da?“, unterbrach sie seine Traumvisionen.
„Ein.... ein Buch“, stammelte er und schob es ihr hinüber.
Sie betrachtete die bunt kolorierten Bilder und war begeistert. Pferde und Reiter waren abgebildet. Eine Jagdgesellschaft. Und Raubvögel, die zur Jagd abgerichtet wurden.
„Es ist ein Buch über die Kunst, einen Falken abzurichten“, erklärte er. „Dort steh genau beschrieben, wie man vorgehen muss, um das Tier zu zähmen, und es dazu zu bringen, seine Beute abzuliefern.“
Jeanne betrachtete die Buchstaben, die ihr wie eine Ansammlung von kleinen Krabbelwesen erschienen, die in langen Reihen über das Papier marschierten. „Ich kann nicht lesen“, sagte sie leise.
Natürlich konnte sie nicht lesen. Sie war ein Bauernmädel. Wo sollte sie es wohl gelernt haben?
„Soll ich es dir vorlesen?“, fragte er hoffnungsvoll und rückte näher an sie heran. Jeanne
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