Der Graf und die Diebin
Chevalier de Boudard und bot ihr mit einem Lächeln seinen Arm.
Jeanne stellte fest, dass er sich besonders sorgfältig angekleidet hatte. Der hellgrüne Rock, besetzt mit Spitzen, hatte weite Ärmel mit breiten bestickten Aufschlägen, die Seidenstrümpfe waren rosafarben und die hohen Schnallenschuhe hatten die roten Absätze der Höflinge. Er wirkte auf Jeanne wie ein lächerlicher, aufgeplusterter Modegeck. Doch sie verbiss sich das Lachen, neigte höflich den Kopf und ergriff den dargebotenen Arm. Marguerite hatte ihr diese Kutschfahrt mit dem Chevalier ganz besonders ans Herz gelegt. Außerdem war es das erste Mal, dass sie das Haus ihrer Gönnerin verließ, und sie war neugierig auf das, was sie zu sehen bekommen würde.
„Ich schätze mich glücklich, Mademoiselle, Euch diese kleine Abwechslung bieten zu können.“
„Ich bin Euch außerordentlich dankbar dafür, Chevalier.“
Vor dem Haus wartete ein offener Wagen, ein Diener sprang herbei, um den Herrschaften den Schlag zu öffnen und beim Einsteigen behilflich zu sein. Der Chevalier ließ es sich allerdings nicht nehmen, Jeanne persönlich den Arm zu stützen, während sie in die Kutsche stieg.
Er setzte sich ihr gegenüber und gab das Zeichen zur Abfahrt. Die Peitsche des Kutschers knallte auf die Rücken der beiden Pferde, und das Gefährt setzte sich in Bewegung. Jeanne sah voller Entsetzen, dass der Wagen zentimeterdicht an einer Waschfrau vorüberrollte, die erschrocken mit ihrem schweren Korb zur Seite wich.
„Hat sie keine Augen im Kopf?“, brüllte der Chevalier.
„Diese Leute sind wie die Lemminge“, meinte er dann zu Jeanne gewandt und zog das Spitzentuch, um es vor die Nase zu halten. „Nicht rechts noch links schauen sie. Gestern rannte hier eine Bande Gassenkinder vorbei, und zwei davon kamen zwischen die Beine meiner Pferde.“
„Um Gottes Willen!“
„Dieses Gesindel ist hartgesotten, liebe Jeanne. Ohne Zweifel rennen sie schon wieder durch die Gassen und richten andernorts Unheil an.“
Jeanne schwieg. Vor einigen Wochen hätte der Chevalier vermutlich auch sie selbst als „Gesindel“ bezeichnet und wenig bedauert, wenn sie unter die Räder seiner Karosse geraten wäre. Sie zog sich das Cape enger um die Schultern und bemühte sich, an ihm vorbeizusehen.
Das also war Paris. Jeanne war entsetzt. Nie hätte sie geglaubt, dass die hochgepriesene Hauptstadt, der Ort, an dem der königliche Hof residierte, so schmutzig und hässlich war. Zwischen mehrstöckigen, düster aussehenden Häusern zogen sich enge Straßen voller Schmutz und Fäkalien. Jetzt wusste sie, weshalb der Chevalier sich ein Taschentuch vorhielt – der Gestank dieser Kloaken war in der Tat kaum zu ertragen. Männer und Frauen eilten vorüber, zerlumpte und ärmliche Gestalten, die Schuhe im Kot, die Röcke der Frauen schleiften über den Dreck. Aus einem Hauseingang quoll eine Gruppe Kinder in abgerissenen Fetzen, die Gesichter schmutzig, die Augen gierig auf die Karosse gerichtet – einige hielten hoffnungsvoll die Hände auf. Als der Kutscher die Pferde vorantrieb, sprangen sie im letzten Augenblick zurück.
Der Chevalier hatte Jeanne aufmerksam betrachtet und reichte ihr jetzt ein kleines Fläschchen.
„Nehmt davon etwas auf Euer Taschentuch, Mademoiselle. Wir werden die Stadt bald hinter uns lassen, dann werdet Ihr die angenehmen Seiten unserer Fahrt erleben.“
Jeanne nickte und spürte, dass ihr wieder übel wurde. Sie sprengte einige Tropfen aus dem Fläschchen auf ihr Taschentuch und sog den Geruch des schweren Parfums ein. Es wurde ihr nur wenig besser davon. Zum Glück bogen sie um eine Straßenecke und befanden sich nun auf einer breiten Avenue, die in einen kleinen Platz mündete.
„Das Palais Royal, meine Liebe“, erklärte der Chevalier und wies auf die hohen Mauern zur Rechten. Das langgestreckte, zweistöckige Gebäude mit den hohen Fensterreihen wirkte düster und imposant, seine Ausdehnung erschien Jeanne schier unermesslich. Wollten denn diese Fensterfronten und Arkaden niemals enden? „Wohnt dort der König?“
Der Chevalier lächelte. Sie war bezaubernd, diese kleine Jeanne. So ahnungslos. So unschuldig. Fast unmerklich schob er seinen linken Fuß weiter vor und berührte ihren kleinen Schuh.
„Zuweilen. Er hat hier seine Jugendjahre verbracht und ist auch jetzt noch häufig dort. Monsieur Molière führt hier seine Stücke auf.“
„Und wo ist der König jetzt?“
Die Kutsche bog nach links ab, und zu Jeannes
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