Der Graf und die Diebin
Lauf der Seine auf einem Uferweg, wo sie nebeneinander ritten und sich unterhalten konnten. Bauern mit Ochsenkarren kamen ihnen entgegen, Reiter, eine Karosse, in der ein Adeliger mit seiner Familie ausfuhr. Das Land um sie herum war weit und flach, nur in der Ferne grüßten sanfte bewaldete Hügel, auf denen bläulicher Dunst lag. Als Jeanne sich umwandte, sah sie die Stadt hinter sich liegen wie ein braunes, atmendes Steinmonster, das in der Sonne dampfte – von spitzen Kirchtürmen überragt.
„Nun – wie befindet Ihr Euch?“, wollte er wissen.
„Wundervoll“, sagte sie beglückt. „Es war eine großartige Idee, Eure Hoheit. Um ehrlich zu sein: Ich fühle mit in dieser engen, lärmenden Stadt oft so beengt, so eingesperrt. Mir fehlen die weiten Wiesen, die Wäldchen, der Bachlauf – meine Heimat, die Normandie…“
Er lächelte wie gewohnt und verbarg die aufkommende Welle der Sympathie. Wie offen und ehrlich sie war, wie unbefangen sie einem anderen Menschen ihr Herz öffnen konnte. Hatte er schon jemals eine solche Frau gekannt? Für einen Augenblick spürte er etwas, von dem er eigentlich geglaubt hatte, dass er es gar nicht besaß. Er spürte sein Gewissen. Es war Spätsommer, und der Fluss führte nur wenig Wasser. Buschwerk und Uferweiden neigten sich über den Flusslauf und tauchten ihre Zweige in die Flut. Hie und da schnappte ein Fisch nach Luft, und im träge dahinfließenden Strom bildete sich ein kleiner Strudel. Jeanne bestand darauf abzusteigen und ans Ufer zu gehen, bevor sie den Flusslauf verließen. Er willigte ein, hielt ihr höflich den Steigbügel und spürte für einen Moment ihre kleine Hand auf seiner Schulter.
Sie hockte bereits am Ufer und warf ein Stückchen Holz in die Wellen. Gemächlich trug der Fluss es davon. „Als ich ein Kind war, habe ich kleine Schiffe geschnitzt und sie im Bach schwimmen lassen. Richtige Segelboote waren das mit Waren darauf und Passagieren“, erzählte sie fröhlich.
„Die Passagiere waren vermutlich Käfer oder Ameisen“, meinte er amüsiert. „Und die Waren?“
„Kirschen, manchmal auch Heidelbeeren“, kicherte sie. Er hockte sich neben sie und setzte vorsichtig ein kleines Hölzchen auf die Wasserfläche. Es drehte sich um sich selbst und wurde davongeschwemmt. „Ich erinnere mich ebenfalls an solche Kinderspiele“, meinte er und sah nachdenklich ins Wasser. „Allerdings ist es schon sehr lange her. Ich hatte es vergessen.“
Sie schaute ihn von der Seite an und lächelte. „Wie alt seid Ihr?“
„Zweiundvierzig. Ein uralter Mann, nicht wahr?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ihr seht viel jünger aus, finde ich. Ihr seid sehr schlank und habt fast keine Falten im Gesicht.“
Er musste schmunzeln, denn er war davon überzeugt, dass sie nicht schmeichelte, sondern ehrlich war. „Reiten wir weiter, Jeanne“, bat er und reichte ihr die Hand.
„Gern.“ Sie richtete sich ohne seine Hilfe auf.
Man ließ die Pferde traben, und als der Wald sie mit schattiger Kühle umfing, atmeten beide auf. Es roch nach Moder, nach Pilzen und nach frischem Laub, die Pferde gingen im Schritt und ihre Hufschläge klangen dumpf auf dem dunklen Waldboden. Jeanne nahm den Hut ab, um damit die kleinen Mücken zu vertreiben, die sie umschwirrten. Ein leichter Wind fuhr durch ihr langes Haar und bewegte ein paar Locken. Er ließ sie vorausreiten und betrachtete sie mit Wohlgefallen. Sie saß aufrecht zu Pferd, passte sich der Bewegung der Stute an, und es kam ihm in den Sinn, dass sie im Herrensattel eine recht gute Reiterin abgeben würde.
Der schmale Pfad verbreiterte sich, und die Pferde hoben unruhig die Köpfe. Unversehens erschien eine Gruppe Reiter aus einem Seitenweg und hielt auf sie zu. Jeanne zügelte die Stute und lenkte sie auf die Seite, um die Herren vorbeireiten zu lassen – doch die Reiter hielten dicht vor ihnen an. Auf den ersten Blick erkannte Jeanne, dass es eine adelige Jagdgesellschaft war, denn die reich gekleideten Reiter trugen Flinten und Jagdtaschen mit sich.
Man musterte sie mit Erstaunen und Wohlwollen, die Herren tauschten beziehungsvolle Blicke und flüsterten sich leise Bemerkungen zu. Einer der Reiter trug einen braunen Hut mit breiten weißen Federn daran, die Jagdflinte, die aus dem Köcher an seinem Sattel ragte, zeigte eine kostbare Einlegearbeit.
„Diana muss uns heute gewogen sein“, redete er sie lächelnd an. „Da sie uns eine so bezaubernd schöne Jagdgöttin sendet.“
Jeanne lachte unbefangen und warf
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