Der Graf von Castelfino
er sich in seinem ledernen Schreibtischsessel zurücklehnte. Ein quälend langes Schweigen hing im Raum. Schließlich sagte Gianni gedankenverloren: „Ich denke über diese Frage schon nach, seit Sie dieses Problem erwähnt haben. Sie sind die erste Person, die mir vorwirft, sie aus dem Schlaf zu reißen. Niemand anders hat sich je zuvor darüber beschwert.“
Meg versuchte, einen heiteren Ton anzuschlagen. „Könnte ja sein, dass die meisten zu viel Angst vor Ihnen haben!“
„Und Sie haben keine Angst?“ Er schien eher neugierig auf ihre Antwort zu sein als verärgert.
Meg riskierte einen verstohlenen Blick. Gianni sah aus, als sei er die Ruhe selbst, während seine dunklen Augen fragend auf sie gerichtet waren.
„D…darüber muss ich erst nachdenken“, erwiderte sie nach kurzem Überlegen. Sie musste sich vorsehen. Gianni Bellini konnte einem schon manchmal Angst einjagen. Selbstverständlich wirkte er auch warmherzig und sehr amüsant, doch Meg war sich nicht sicher, wie tief oder wie echt seine Gefühle waren.
„Nehmen Sie sich nicht zu viel Zeit für Ihre Antwort.“
Sie hörte sein Lachen und konnte nicht widerstehen, aufzublicken. Gianni strahlte sie über seine gefalteten Hände hinweg an.
„Also habe ich Sie in Ihrem Schönheitsschlaf gestört, ja? Ich werde es auf keinen Fall weitererzählen, falls Sie das tröstet. Keine Menschenseele wird je davon erfahren. Haben Sie eigentlich einmal darüber nachgedacht, dass Sie sich, anstatt mich zu beobachten, lieber in Ihrem Bett aufhalten sollten, um mehr Schlaf zu bekommen?“
„Um diese Zeit, so früh am Morgen, würde das keinen Sinn mehr machen. Ebenso gut kann ich auch aufstehen, einigen Bürokram erledigen und dann mit meiner Arbeit beginnen.“
„Dieser Ablauf ist mir bereits bekannt“, sagte er ohne den geringsten Anflug von Schuldbewusstsein. „Wenn ich mich ausziehe, um ins Bett zu gehen, sind Sie schon unterwegs zu Ihrem Garten.“
Sie runzelte fragend die Stirn. „Woher wissen Sie das?“
Seine Antwort bestand aus einem wissenden Lächeln. Schweigend gab er Meg Zeit, über seine Worte nachzudenken. Sie brauchte nicht lange, um zu verstehen. Die Strecke von ihrem Cottage zu den alten Kräutergärten führte genau entlang der Gebäudeseite, wo seine Privatsuite lag. Von dort konnte er genauestens ihren Weg überblicken. Plötzlich hatte Meg ein höchst verführerisches Bild vor Augen, wie er nackt auf dem Balkon seines Schlafzimmers stand und auf sie herabschaute. Sie hätte lediglich aufblicken müssen, um ihn dort oben zu sehen.
Der Wechsel in ihrem Gesichtsausdruck von fragend hin zu bitterer Enttäuschung war so offensichtlich, dass Gianni sich ein neckendes Lächeln nicht verkneifen konnte.
„Keine Sorge. Ich bin jetzt der Conte di Castelfino. Ich werde also weniger Partys feiern und mich häufiger hier in der Villa nützlich machen. Und Sie werden in Zukunft nicht mehr so oft von mir in der Nacht belästigt werden, wie es bisher der Fall war“, fügte er mit einem Anflug von Humor hinzu, als ob ihm eigentlich klar wäre, dass es im Grunde immer so bleiben würde, wenn auch auf andere Weise. „Ich werde einfach viel zu viel zu tun haben. Denken Sie nur allein an die Riesenaufgabe, die ich mir selbst gestellt habe, das Weingut zu vergrößern.“ Er räusperte sich und sah ihr fest in die Augen, bevor er weiterredete.
„Ihre Tätigkeit ist ein weiterer Grund, warum ich Sie zu mir gebeten habe. Da war etwas, was Sie so ganz nebenher am Tag Ihrer Ankunft erwähnten, und das ist fest in meinem Gedächtnis haften geblieben. Es hat mich nicht mehr losgelassen. Deshalb habe ich meinen Stab beauftragt, Sie zu überprüfen, Miss Megan Imsey. Wusste mein Vater eigentlich, dass Sie so exzellent qualifiziert sind, dass Sie es sich sogar leisten konnten, eine Tätigkeit für das englische Königshaus abzulehnen?“
„Nein! Ich hätte so etwas niemals behauptet, selbst wenn es der Wahrheit entspräche!“ Vor lauter Verlegenheit wusste Meg nicht mehr, wohin mit ihren Händen. „Ich habe dieses ehrenvolle Angebot nicht abgelehnt – ich konnte die Stelle einfach nicht annehmen. Das ist in meinen Augen ein wesentlicher Unterschied. Am Tag, nachdem das Angebot mich erreichte, erlitt mein Vater eine Herzattacke. Ich hatte bereits zugesagt, doch unter den gegebenen Umständen war es mir unmöglich, diese Zusage weiterhin aufrechtzuerhalten. Meine Eltern brauchten mich und alle Hilfe, die ich imstande war, ihnen zu geben. Es hat mich
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