Der Graf von Monte Christo 1
schlecht; Franz erlegte nur wenige magere Rebhühner und bestieg in ziemlich schlechter Laune wieder seine Barke.
»Oh, wenn Eure Exzellenz wollten«, sagte der Patron, »könnten Sie eine schöne Jagd haben!«
»Wo das?«
»Sehen Sie die Insel dort?« fuhr der Patron fort, indem er nach Süden auf eine kegelförmige Masse zeigte, die mitten aus dem Meer im schönsten Blau schimmernd emporragte.
»Nun, was ist das für eine Insel?« fragte Franz.
»Die Insel Monte Christo«, antwortete der Mann.
»Aber ich habe keine Erlaubnis, auf dieser Insel zu jagen.«
»Die brauchen Eure Exzellenz nicht, die Insel ist unbewohnt.«
»Ah, wahrhaftig, eine unbewohnte Insel im Mittelländischen Meer, das ist eine Merkwürdigkeit.«
»Das ist leicht verständlich, Exzellenz; die Insel ist eine Felsenbank und besitzt vielleicht in ihrer ganzen Ausdehnung keinen einzigen Flecken Ackerboden.«
»Und wem gehört die Insel?«
»Sie gehört zu Toskana.«
»Was für Wild gibt’s da?«
»Tausende von wilden Ziegen.«
»Die wohl die Felsen ablecken?« sagte Franz mit ungläubigem Lächeln.
»Nein«, antwortete der Patron; »aber die das Heidekraut und die Myrten abweiden, die in den Spalten wachsen.«
»Wo soll ich aber schlafen?«
»Auf dem Land, in den Grotten, oder an Bord in Ihrem Mantel.
Übrigens, wenn Eure Exzellenz wollen, fahren wir sofort nach der Jagd wieder ab. Sie wissen, daß wir nachts ebensogut segeln wie bei Tag und daß wir nötigenfalls unsere Ruder haben.«
Da Franz noch genügend Zeit blieb, um mit seinem Reisegefährten zusammenzutreff en, und die Wohnung in Rom bereits bestellt war, so nahm er, um sich für die erste Jagd zu entschädigen, den Vorschlag an.
Auf seine zustimmende Antwort wechselten die Matrosen leise einige Worte.
»Nun?« fragte er. »Was gibt’s Neues! Sollte irgendein Hindernis vorliegen?«
»Nein«, antwortete der Patron; »aber wir müssen Eurer Exzellenz sagen, daß die Insel in Kontumaz ist.«
»Was heißt das?«
»Das heißt, daß, da Monte Christo unbewohnt ist und manchmal Schmugglern und Piraten, die von Korsika, Sardinien oder Afrika kommen, als Hafen dient, wir zu einer sechstägigen Quarantäne gezwungen sein würden, wenn man nach unserer Rückkehr nach Livorno merkte, daß wir auf der Insel waren.«
»Teufel, das ändert die Sache! Sechs Tage! Das ist ein bißchen lange, Kinder.«
»Aber wer wird verraten, daß Seine Exzellenz auf Monte Christo gewesen sind?«
»Oh, ich nicht«, rief Franz.
»Wir auch nicht«, stimmten die Matrosen zu.
»Dann los nach Monte Christo!«
Sie waren nur noch fünfzehn Meilen von Monte Christo entfernt, als die Sonne hinter den Bergen Korsikas unterzugehen begann. Eine halbe Stunde darauf war es fi nstere Nacht. Zum Glück kannten die Seeleute den kleinsten Felsen im toskanischen Archipel; denn inmitten der Finsternis, welche die Barke einhüllte, wäre Franz nicht ohne Unruhe gewesen. Korsika war vollständig verschwunden, auch Monte Christo war unsichtbar geworden; aber die Matrosen schienen gleich den Luchsen im Finstern sehen zu können, und der Steuermann bekundete nicht das geringste Zögern.
Ungefähr eine Stunde nach Sonnenuntergang glaubte Franz in etwa einer Viertelmeile Entfernung zur Linken eine dunkle Masse zu bemerken; aber es war unmöglich zu unterscheiden, was es war, und da Franz fürchtete, die Heiterkeit der Matrosen zu erregen, wenn er einige Wolken für festes Land halten sollte, so schwieg er.
Plötzlich aber erkannte er einen hellen Lichtschein.
»Was ist das für ein Licht?« fragte er.
»Pst!« antwortete der Patron, »das ist ein Feuer.«
»Sie sagten aber doch, daß die Insel unbewohnt sei.«
»Ich sagte auch, daß sie als Hafen für Schmuggler diene.«
»Und für Piraten!«
»Und für Piraten«, wiederholte der Patron, »und eben deshalb habe ich Befehl gegeben, an der Insel vorbeizufahren, denn, wie Sie sehen, ist das Feuer hinter uns.«
»Aber das Feuer scheint mir eher ein Grund zur Beunruhigung zu sein«, fuhr Franz fort. »Leute, die gesehen zu werden fürchteten, hätten kein Feuer gemacht.«
»Oh, das will nichts sagen«, antwortete der Patron; »wenn Sie in der Dunkelheit die Lage der Insel beurteilen könnten, würden Sie sehen, daß das Feuer nur von der off enen See aus bemerkt werden kann.«
»Also fürchten Sie, daß es uns schlechte Gesellschaft ankündigt?«
»Davon muß man sich überzeugen«, entgegnete der Schiff er.
»Und wie wollen Sie sich davon überzeugen?«
»Sie
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