Der Graf von Monte Christo 1
dem Sabinergebirge habe herauskommen und seine Herde umschleichen sehen. Der Verwalter gab ihm ein Gewehr: Das hatte Vampa bezweckt.
Von diesem Augenblick an beschäftigte sich Vampa während seiner ganzen freien Zeit mit Schießübungen; er kaufte Pulver und Kugeln, und alles wurde für ihn zum Ziel: der schmächtige graue Stamm des an den Abhängen des Sabinergebirges wachsenden Ölbaums, der Fuchs, der abends seinen Bau verläßt, um seine nächtliche Jagd zu beginnen, und der Adler, der in den Lüften schwebt. Bald wurde er so geschickt, daß Teresa die Furcht, die sie zuerst bei dem Knall empfunden hatte, überwand und es ihr Vergnügen machte zu sehen, wie ihr junger Gefährte die Kugel so sicher dahin brachte, wo er sie hinhaben wollte, als ob er sie mit der Hand eingetrieben hätte.
Eines Abends kam tatsächlich ein Wolf aus einem Fichtengehölz, in dessen Nähe sich die beiden gewöhnlich aufzuhalten pfl egten; der Wolf hatte noch keine zehn Schritt ins Freie getan, als ihn die tödliche Kugel traf. Stolz lud Vampa den toten Wolf auf die Schultern und brachte ihn zum Gutshof.
Durch alles dies hatte sich Luigi einen gewissen Ruf erworben.
Man sprach in der Gegend von dem jungen Hirten wie von dem gewandtesten, stärksten und tapfersten Burschen auf zehn Meilen in der Runde; und obgleich Teresa ihrerseits für eines der hübsche-sten Mädchen des Sabinerlands galt, so ließ es sich doch niemand einfallen, ihr ein Wort von Liebe zu sagen, denn man wußte, daß sie von Vampa geliebt wurde.
Und dennoch hatten die beiden jungen Leute sich nie gesagt, daß sie sich liebten. Sie waren beide nebeneinander aufgewachsen wie zwei Bäume, die ihre Wurzeln in der Erde, ihre Zweige über dem Boden und den Duft ihrer Blüten hoch oben in der Luft vermischen; nur war es ihnen ein Bedürfnis, beisammen zu sein, und sie begrif-fen eher den Tod als eine Trennung für einen einzigen Tag.
Teresa war sechzehn und Vampa siebzehn.
Um diese Zeit begann man viel von einer Räuberbande zu sprechen, die sich in den Lepinibergen zu bilden im Begriff war. Das Räuberwesen ist in der Umgegend Roms nie ganz ausgerottet worden. Es fehlte manchmal an Führern, aber wenn sich ein Führer fand, war es selten, daß ihm eine Bande fehlte.
Der berühmte Cucumetto, der in den Abruzzen gehetzt und aus dem Königreich Neapel vertrieben worden war, wo er einen richtigen Krieg ausgehalten hatte, war es, der sich damit beschäftigte, eine Bande zusammenzubringen. Er folgte dem Beispiel Decesaris’
und Gasparones, die er bald zu übertreff en hoff te. Mehrere junge Leute aus Palestrina, Frascati und Pampinara verschwanden. Man beunruhigte sich zuerst ihretwegen, bald aber erfuhr man, daß sie zu der Bande Cucumettos gegangen waren.
Nach Verlauf von einiger Zeit wurde Cucumetto der Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit. Man erzählte von diesem Räuberhauptmann Streiche von außerordentlicher Kühnheit und empö-
render Roheit.
Eines Tages entführte er ein junges Mädchen: Es war die Tochter des Landmessers von Frosinone. Die Räuber haben in diesen Dingen ihre bestimmten Gesetze: Ein Mädchen gehört zuerst dem Entführer, dann losen die anderen, und die Unglückliche dient der Lust der ganzen Bande, bis die Banditen von ihr ablassen oder bis sie stirbt.
Wenn die Eltern reich genug sind, um sie loszukaufen, wird ein Bote geschickt, um über das Lösegeld zu verhandeln; der Kopf der Gefangenen bürgt für die Sicherheit des Abgesandten. Wenn das Lösegeld verweigert wird, so gehört die Gefangene der Bande.
Das junge Mädchen hatte seinen Geliebten in der Bande Cucumettos; er hieß Carlini.
Als sie den jungen Mann erkannte, streckte sie die Arme nach ihm aus und glaubte sich gerettet. Aber der arme Carlini fühlte sein Herz brechen; denn er ahnte, was seiner Geliebten bevorstand.
Indessen, da er der Günstling Cucumettos war und ihm einmal sogar das Leben gerettet hatte, so hoff te er, daß Cucumetto Mitleid mit ihm haben werde.
Er nahm also den Hauptmann beiseite, während sich das Mädchen, am Stamme einer großen Fichte sitzend, die sich inmitten einer Lichtung im Walde erhob, aus der malerischen Kopfbedeckung, wie sie die römischen Landmädchen tragen, einen Schleier gemacht hatte und ihr Gesicht vor den lüsternen Blicken der Banditen verbarg.
Dort erzählte er ihm alles, seine Liebschaft mit der Gefangenen, ihre Treueschwüre und wie er sich mit ihr, seit sie in der Gegend waren, jede Nacht in einer Ruine getroff
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