Der Graf von Monte Christo 1
Nacht«, und unwiderstehlich wurde er nach der Höhle zurückgezogen. Nachdem er den Patron beauftragt hatte, eine der Ziegen zu, braten, begann er trotz der Erfolglosigkeit seiner ersten Untersuchung seine Nachforschung von neuem. Dieser zweite Versuch dauerte ziemlich lange, denn als er zurückkam, war die Ziege gebraten und das Frühstück fertig.
Franz setzte sich an die Stelle, wo er am vorigen Abend die Einladung seines geheimnisvollen Wirts erhalten hatte, und sah noch die Jacht, die, einer sich auf dem Kamm einer Woge schaukelnden Möwe gleich, ihren Weg nach Korsika fortsetzte.
»Aber Sie haben mir doch gesagt, daß Herr Sindbad nach Malaga segle«, bemerkte er, zu Gaetano gewandt, »während mir scheint, daß er direkt auf Porto Vecchio losfährt.«
»Erinnern Sie sich nicht mehr«, entgegnete der Patron, »daß ich Ihnen sagte, unter seiner Mannschaft seien gegenwärtig zwei korsische Banditen?«
»Das ist wahr. Und die will er an der Küste absetzen?« fragte Franz.
»Ganz recht. Oh, das ist ein Mann, der weder Gott noch den Teufel fürchtet, wie es heißt«, rief Gaetano, »und der einen Umweg von fünfzig Meilen macht, um einem armen Kerl einen Dienst zu erweisen.«
»Aber diese Art Dienst könnte ihn mit den Behörden des Landes, wo er dergleichen Menschenfreundlichkeit übt, in Konfl ikt bringen«, meinte Franz.
»Na, was macht der sich aus den Behörden!« entgegnete Gaetano lachend. »Keinen Pfi ff erling. Man braucht’s nur zu versuchen, ihn zu verfolgen. Erstens ist seine Jacht kein Schiff , sondern ein Vogel, und dann braucht er nur an Land zu gehen, er wird überall Freunde fi nden.«
Aus diesem allen ging hervor, daß Franzens Wirt die Ehre hatte, mit den Schmugglern und Banditen sämtlicher Küsten des Mittelländischen Meeres auf gutem Fuß zu stehen.
Da Franz nichts mehr auf Monte Christo zurückhielt und er die Hoff nung, das Geheimnis der Höhle zu entdecken, aufgegeben hatte, so beeilte er sich zu frühstücken und befahl der Mannschaft ihre Barke bereitzuhalten.
Eine halbe Stunde darauf war er an Bord. Er warf einen letzten Blick auf die Jacht, die soeben im Golf von Porto Vecchio zu verschwinden begann, und gab das Zeichen zur Abfahrt.
Als die Barke sich in Bewegung setzte, war die Jacht nicht mehr zu sehen, und mit ihr erlosch die letzte Wirklichkeit der vergangenen Nacht.
Die Barke segelte den ganzen Tag und die ganze Nacht, und als sich am folgenden Morgen die Sonne erhob, war auch die Insel Monte Christo aus den Augen entschwunden. Nachdem Franz seinen Fuß auf das Festland gesetzt hatte, vergaß er wenigstens für den Augenblick seine Erlebnisse. Er erledigte seine Angelegenheiten in Florenz und reiste nach Rom, wo er Albert traf.
Am nächsten Morgen suchte der Wirt des Hotels, in dem sie wohnten, die beiden Freunde auf.
»Sie haben die Kalesche für acht Uhr bestellt?« fragte der Wirt.
»Ja.«
»Sie sind gesonnen, das Kolosseum zu besuchen?« stellte der Wirt eine weitere Frage.
»Ja.«
»Sie sagten zu Ihrem Kutscher, er soll zur Porta del Popolo hin-ausfahren, dann den Weg rings um die Mauern nehmen und durch die Porta San Giovanni zurückkehren?«
»Das waren meine Worte.«
»Diese Fahrt ist aber unmöglich oder mindestens sehr gefahr-voll.«
»Gefahrvoll – und warum?«
»Des berüchtigten Luigi Vampa wegen.«
»Mein lieber Herr Wirt, wer ist dieser berüchtigte Luigi Vampa?«
fragte Albert. »Er kann wohl in Rom sehr verrufen sein, allein in Paris ist er völlig unbekannt.«
»Wie, Sie kennen ihn nicht?«
»Ich habe nicht die Ehre.«
»Nun, er ist ein Bandit, gegen den die Decesaris und Gasparones bloße Chorknaben sind. Ich habe ihn schon als Kind gekannt und weiß alle Einzelheiten aus seinem Leben.«
»Achtung, Franz«, rief Albert, »da haben wir also einen Banditen!
Ich sage Ihnen jedoch, lieber Herr Wirt, daß ich kein Wort von dem glaube, was Sie uns darüber sagen werden. Aber setzen Sie sich immerhin und erzählen Sie uns, was Sie von ihm wissen.«
Der Wirt setzte sich, nachdem er jedem der beiden Herren eine respektvolle Verbeugung gemacht hatte, und begann zu erzählen.
W W : D
G L V
Luigi Vampa war ein kleiner Hirtenjunge auf dem Gute des Grafen von San Felice, das zwischen Palestrina und dem Gabrisee liegt. Er war in Pampinara geboren und im Alter von fünf Jahren in den Dienst des Grafen getreten. Sein Vater, selbst ein
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