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Der Graf von Monte Christo 1

Der Graf von Monte Christo 1

Titel: Der Graf von Monte Christo 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandre Dumas
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bewohnten. Der unglückliche junge Mann hörte jetzt auf, sich mit seinem Vornamen Edmund oder seinem Namen Dantès zu nennen. Er hieß Nummer .
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    Dantès machte alle Leiden eines im Gefängnis vergessenen Gefangenen durch.
    Er bat, daß man ihn in einen anderen Kerker – und wäre er noch fi nsterer und tiefer – brächte; jede Veränderung hätte ihm einige Tage lang Zerstreuung gewährt; er bat um die Erlaubnis, am Spaziergang teilzunehmen; er verlangte Bücher und Handwerkszeug, um sich zu beschäftigen. Aber alles war umsonst, nichts wurde ihm gewährt. Er hatte sich daran gewöhnt, mit seinem neuen Kerkermeister zu sprechen, obgleich dieser womöglich noch schweigsamer war als der frühere; mit einem Menschen, selbst einem stummen, zu sprechen, war immer noch eine Abwechslung. Dantès sprach, um den Laut seiner eigenen Stimme zu hören; er hatte versucht zu sprechen, wenn er allein war, aber dann erschrak er vor dem Klang seiner Stimme.
    Er beschwor eines Tages den Schließer, darum nachzusuchen, daß er einen Zellengenossen bekäme, einerlei was für einen, wäre es selbst jener irrsinnige Abbé, von dem er hatte sprechen hören. Der Schlie-
    ßer hatte sich unter seiner rauhen Hülle einen Rest von menschli-chem Gefühl bewahrt, und wenn auch sein Gesicht nichts davon verriet, so tat ihm doch der junge Mensch leid, für den die Gefangenschaft so hart war.
    Er überbrachte die Bitte der Nummer  dem Gouverneur; aber dieser glaubte, daß Dantès die Gefangenen aufwiegeln oder sich zu einem Fluchtversuch Beistand verschaff en wollte, und schlug die Bitte ab.
    Dantès hatte von den Menschen keine Hilfe mehr zu erwarten; da wandte er sich Gott zu. Er betete, nicht nur mit Inbrunst, sondern mit Wut. Wenn er laut betete, erschreckten ihn seine Worte nicht mehr; er verfi el dann in eine Art Ekstase, und bei jedem Wort, das er sprach, schien ihm Gott nahe zu sein.
    Trotz seiner inbrünstigen Gebete aber blieb er gefangen. Da verfi nsterte sich sein Gemüt; eine Wolke legte sich vor seine Augen.
    Dantès war ein einfacher Mann ohne Bildung, keine Ablenkung konnte ihm aus seinem eigenen Geiste kommen; er hatte nur seine kurze Vergangenheit, die düstere Gegenwart und die zweifelhafte Zukunft, um seine Gedanken zu beschäftigen. Da klammerte er sich an eine Idee, an die seines ohne erkennbaren Grund und durch ein unerhörtes Verhängnis zerstörten Glücks.
    Auf seine frommen Anwandlungen folgte die Wut. Edmund stieß gotteslästerliche Reden aus, die den Kerkermeister vor Entsetzen zurückprallen ließen; er rannte gegen die Mauern seines Gefängnisses, er ließ seine Wut an allem, was ihn umgab, und besonders an sich selbst aus; bei dem geringsten, was ihm entgegen war, einem Strohhalm, einem Luftzug, geriet er in Tobsucht. Dann trat ihm jener Brief, den ihm Villefort gezeigt hatte, vor Augen, jede Zeile malte sich mit Flammenschrift auf die Mauer. Er sagte sich, daß nicht die Rache Gottes, sondern der Haß der Menschen ihn in diesen Abgrund, in dem er sich befand, gestürzt hätten; er weihte diese unbekannten Menschen allen Qualen, die seine Einbildungskraft ersinnen konnte, und hielt die schrecklichsten noch für zu mild.
    Schließlich dachte er daran, seinem Leben ein Ende zu machen.
    Und einmal an diesem Punkt angelangt, fand er einigen Trost in dieser Vorstellung.
    Er wurde ruhiger, heiterer; er fühlte sich wohler auf seinem harten Lager und fand allmählich diesen Rest des Daseins, das er wie ein abgenutztes Kleidungsstück ablegen konnte, sobald er wollte, erträglicher.
    Es gab zwei Mittel, den Tod herbeizuführen. Das eine war einfach: Er brauchte nur sein Taschentuch an die Gitterstange seines Fensters zu binden und sich aufzuhängen; das andere bestand darin, daß er sich stellte, als ob er die ihm gebrachte Nahrung näh-me, und verhungerte. Vor dem ersteren empfand Dantès Ekel; er war in Abscheu vor den Piraten groß geworden, Leuten, die an den Rahen aufgeknüpft wurden; das Hängen war in seinen Augen eine gemeine Todesart, und er wollte auf diese Weise nicht sterben. Er entschied sich also für die zweite Art und begann noch an demselben Tage mit der Ausführung.
    Nahezu vier Jahre waren seit seiner Einkerkerung verfl ossen.
    Am Ende des zweiten Jahres hatte Dantès aufgehört, die Tage zu zählen.
    Nachdem er sich seine Todesart gewählt hatte, schwor er sich selbst, um nicht etwa wieder andern Sinnes zu werden, so zu sterben.

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