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Der Graf von Monte Christo 1

Der Graf von Monte Christo 1

Titel: Der Graf von Monte Christo 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandre Dumas
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Wenn man mir mein Mittag- und Abendessen bringt, nahm er sich vor, so werfe ich alles aus dem Fenster und tue, als ob ich gegessen hätte.
    Er tat, wie er sich gelobt hatte. Zweimal des Tages warf er seine Nahrung durch die kleine, vergitterte Öff nung, durch die er kaum ein Stück des Himmels wahrnehmen konnte, erst heiter, dann nachdenklich, schließlich mit Bedauern. Er mußte sich seinen Schwur ins Gedächtnis rufen, um seinen schrecklichen Plan nicht aufzugeben. Diese Nahrung, die ihn ehemals angeekelt hatte, ließ ihm der Hunger jetzt appetitlich und verlockend erscheinen; manchmal hielt er eine Stunde lang die Schüssel in der Hand, das Auge auf das Stück faulen Fleisches oder Fisches und auf das schimmelige Brot geheftet. In solchen Augenblicken erschien ihm sein Kerker nicht mehr so fi nster, seine Lage nicht so verzweifelt; er war noch jung, fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig Jahre alt, und konnte noch zweimal so lange leben. Was konnte sich in dieser Zeit nicht alles ereignen, um ihn der Freiheit wiederzugeben! Er war nahe daran, das Mahl zu verspeisen; aber dann fi el ihm sein Schwur wieder ein, und er blieb bei seinem Entschluß.
    So kam ein Tag, da er nicht mehr die Kraft hatte, das Abendessen aus dem Fenster zu werfen. Am folgenden Tag sah er nichts mehr; er hörte kaum. Der Kerkermeister glaubte an eine ernste Krankheit; Edmund hoff te auf einen baldigen Tod.
    So verfl oß der Tag; Edmund fühlte eine Erstarrung über sich kommen, die eines gewissen Wohlbehagens nicht entbehrte. Das nervöse Reißen im Magen hatte sich gelegt, der brennende Durst sich beruhigt; als er die Augen schloß, sah er eine Menge glänzender Lichter, wie nächtliche Irrlichter in einem Sumpfe: Es war die Morgenröte jenes unbekannten Landes, das man den Tod nennt. Plötzlich, gegen neun Uhr abends, hörte er ein dumpfes Geräusch an der Mauer, an der er lag. Es hatten schon so viele unreine Tiere in diesem Gefängnis ihr Wesen getrieben, daß Edmund sich daran gewöhnt hatte, seinen Schlummer nicht durch solche Geringfügigkeiten stören zu lassen, aber sei es, daß seine Sinne durch das Fasten erregt waren, daß das Geräusch wirklich stärker war als gewöhnlich oder daß in diesem höchsten Augenblick alles Wichtigkeit erhielt – genug, Edmund hob diesmal den Kopf, um besser zu hören.
    Es war ein gleichmäßiges Kratzen, das entweder von einer gewaltigen Klaue, einem mächtigen Zahn oder auch von einem die Steine bearbeitenden Werkzeug herrührte.
    So schwach die Lebensgeister des Gefangenen nur noch waren, so schoß ihm doch plötzlich der Gedanke durch den Kopf: Freiheit.
    Das Geräusch, gerade in dem Augenblick, da für ihn alles zu enden im Begriff war, schien ihm ein Beweis, daß Gott sich endlich seiner Leiden erbarmen wollte. Wer konnte wissen, ob einer seiner Freunde, eines dieser geliebten Wesen, an die er so oft gedacht hatte, sich in diesem Augenblick nicht mit ihm beschäftigte und nicht den Raum, der sie trennte, zu verkürzen versuchte?
    Doch er täuschte sich; es war wohl nur einer jener Träume, die die Pforte des Todes umschweben.
    Indessen hörte er das Geräusch immer noch. Es dauerte etwa drei Stunden; dann vernahm er eine Art Einsturz, worauf das Geräusch aufhörte.
    Einige Stunden darauf begann es wieder, stärker und in größerer Nähe. Plötzlich trat der Kerkermeister ein.
    Seit ungefähr acht Tagen, nachdem er zu sterben beschlossen, und seit vier Tagen, da er angefangen hatte, diesen Plan auszuführen, hatte Edmund mit diesem Manne nicht mehr gesprochen, ihm nicht geantwortet, wenn er ihn gefragt hatte, was ihm fehlte, und sich nach der Mauer gewandt, wenn er ihn zu aufmerksam betrachtet hatte. Heute aber konnte der Kerkermeister dieses dumpfe Geräusch hören, darüber unruhig werden, ihm ein Ende machen und so vielleicht Dantès diese unbestimmte Hoff nung rauben, die plötzlich in ihm aufgetaucht war.
    Der Wärter brachte das Frühstück.
    Dantès richtete sich auf seinem Lager auf und begann laut über alles mögliche zu reden, über das schlechte Essen, die Kälte in der Zelle, dabei sich erregend, um das Recht zu haben, laut zu schreien, so daß er den Wärter fast böse gemacht hätte, der gerade an diesem Tag für den kranken Gefangenen um eine Bouillon und frisches Brot nachgesucht hatte und ihm beides brachte.
    Zum Glück glaubte er, daß Dantès im Delirium spräche; er stellte die Nahrungsmittel hin und ging wieder.
    Erfreut lauschte Edmund.
    Das Geräusch wurde so deutlich,

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